Möglicher Weise Enten

Gleich kommt die Ente

In den Niederlanden trug sich ein Jagdunfall zu. Nachdem der Jäger in den Himmel geschossen hatte, stürzte eine Flugente herab und erschlug einen Vogelschützer. Die Natur kennt eben keine Moral, sonst hätte sie besser gezielt. Man verzeihe mir die Personifizierung der Natur. Es wirkt nur seltsam, wenn man einen solchen Satz aufschreibt, denn in Wahrheit personifiziert der Mensch ständig.

Der Schriftforscher Jack Goody hat illiterale Kulturen an der Grenze der Schriftbenutzung untersucht, um zu erhellen, wie die Benutzung von Schrift das Denken bedingt. Goody berichtet von einem Missionar, der einen einheimischen Läufer mit fünf Broten und einem Begleitbrief zu einer anderen Missionsstation schickte. Unterwegs bekam der Läufer Hunger, rastete, aß eines der Brote und lief zur Mission. Der Missionar las den Brief und fragte den Läufer nach dem fünften Brot. Da gestand der Bote, dass er das Brot gegessen habe, doch er wollte wissen, wieso der Missionar überhaupt von dem fünften Brot wissen konnte. Der Brief habe ihm das erzählt, sagte der Missionar. Als der Bote einige Tage später erneut Lebensmittel in die Mission tragen sollte, verlockte ihn schon wieder ein Brot. Doch bevor er sich darüber hermachte, versteckte er den Brief unter einem Baum, damit der geschwätzige Brief den Mundraub nicht beobachten konnte.

Von dieser Form des magischen Denkens ist der alphabetisierte Mensch nicht weiter entfernt als bis zum Brotkasten in der Küche. Die Vorstellungen, mit denen wir uns die Welt erklären, sind überwiegend so absurd wie die Vermutung, ein Brief könnte sehen. Zum Beispiel schlagen Kinder manchmal nach einem Gegenstand, der sie verletzt hat. Das tun sie nicht mehr, wenn sie die Phase des magischen Denkens hinter sich gelassen haben, etwa mit sechs Jahren, zum Zeitpunkt ihrer Einschulung.

Ein belesener Mensch unterscheidet sich stark von einem notorischen Fernsehgucker. Denn das Fernsehen bietet Bilder an, die der Zuschauer nicht prüfen kann. Diese Bilder prägen das Denken, und so ist die Grundhaltung solcher Menschen überwiegend magischen Ideen verhaftet. Tatsächlich erlaubt nur die Schrift, dem magischen Denken etwas entgegenzusetzen. Die Schrift siebt aus magischen Bildern überprüfbare Gedankenfolgen und Ideen. Sie macht aus subjektiven Vorstellungen objektivierbare Aussagen, holt also Bilder nach außen und untersucht sie.

Wenn ich schreibe, die
Schrift tue dies, dann personifiziere ich die Schrift. Sogleich zeigen sich die Grenzen der Denktechnik, die uns die Schrift ermöglicht. Denn die Personifizierung ist bildhaftes Denken. Auch die Schrift ist also nicht allmächtig. Würde ich nach Schreiben dieses Textes von einer abgeschossenen Ente erschlagen, dann wäre dieses Geschehen derart magisch, dass alle Schrift der Welt nichts dagegen ausrichten könnte. Doch eigentlich haben wir in jeder Sekunde des Daseins mit Mysterien zu tun, gegen die eine Ente auf meinem Kopf ein Klacks ist.

Guten Abend
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