Einmal herzhaft gähnen

Wasserballett
(Fotomontage: Trithemius)


Zur Zeit macht sich ein kleines Atlantik-Tief über Deutschland her, „und das wirkt sich auch auf den Tagesschauströmungsfilm aus!“, drohte gestern Abend ein Kachelmann. Aha, oho, da rauscht also ein Tiefdruckgebiet heran, bringt heftigen Wind, gar Sturm vielleicht, und der wiederum mischt den Tagesschau-Strömungsfilm so richtig auf, so dass seine Pfeile wirr über Deutschland schwärmen. Und gucke ich raus – da jagen tatsächlich Kachelmanns Strömungspfeile am Himmel, zischen auch durch die Botanik und biegen Busch und Baum. In den Wald soll man da lieber nicht gehen, sagte Kachelmann.

Ein Meteorologe ist
Jörg (!) Kachelmann nicht, er tut nur so, denn studiert hat er etwas anderes, und bevor er seinen privaten Wetterdienst aufgebaut hat, arbeitete er beim Radio. Wenn seine ausufernde Wetterberichtsshow im Fernsehen zu Ende ist, frag ich mich oft „und wie wird jetzt das Wetter?“ Allerdings ist sein Armrudern vor diversen Karten und der verbale meteorologische Kinderkram ganz ulkig, wenn man ordentlich bekifft ist. Dann macht sogar Kachelmannexegese Spaß. Früher sorgte ich mich freilich nie um eventuell gegebenenfalls umherzischende Strömungspfeile oder Grenzlinien von Tiefs oder Hochs über dem Atlantik. Da habe ich einfach mal aus dem Fenster geguckt, wie die Leute rumlaufen. Doch wenn heute einer einen Schirm aufgespannt hat, weiß ich nicht, ob da Regentropfen fallen oder Strömungspfeile. Mir würde Jörg Kachelmann und seine Mitarbeiterin Claudia Kleinert im Maßstab 1:87 gut gefallen, er mit seinem Schirmchen im Wetterhäuschen, sie mit Sonnenblümchen vor der Tür.

Wer hat das gesehenWir gucken noch mal
raus: Et is am rääne.
Ist eigentlich die
Klimaerwärmung
vorläufig abgesagt?
Heute schon gegähnt?
Ach, komm, wir gähnen
mal ein bisschen. Das ist
nicht nur soziale
Interaktion, sondern
hält auch die wilden
Tiere davon ab,
uns aufzufressen,
behaupten jedenfalls
meine Blättchen.

Kusch! Und Klappe zu! Das ist Quatsch, bitteschön, zumindest blanke Spekulation. Auch wilde Tiere gähnen. Ihr seid eben nur Zigarettenblättchen und kein Lexikon. Übrigens ist die indogermanische Wurzel des Wortes „gähnen“ onomatopoetisch, ahmt also den Gähnlaut nach. „Gähnen“ bedeutet „den Rachen aufsperren“ und ist sowohl verwandt mit „klaffen“ wie auch mit griech. "cháos" - leerer Raum, Luftraum, Kluft. Aus dem Wort „Chaos“ hat wiederum der Brüsseler Chemiker J. B. v. Helmont (1577-1644) die gelehrte Neuschöpfung „Gas“ gebildet, ein Wort das erst im 19. Jahrhundert durch das Aufkommen der Gasbeleuchtung in die Allgemeinsprachen eindrang. Und, wer hätte das gedacht, auch das Wort „Gans“ ist mit „gähnen“ verwandt, weil die Gans den Rachen ganz weit aufzureißen versteht und Fauchlaute von sich gibt. Angeblich gähnt sogar die Ameise, bevor sie sich ans Tagwerk macht. Und dann gähnen auch die anderen Ameisen, damit sie nicht von wilden Tieren gebissen werden.

Warum ist Gähnen ansteckend? Es schützt die Gruppe vor herunterfallenden Strömungspfeilen, ganz bestimmt. Übrigens halten wir die Hand vor den Mund, damit beim enthemmten Gähnen die Seele nicht rausflutscht, denn sie ist ja auch nur irgend so ein Gas. Weil Gänse keine Hände haben, wird ihnen in manchen Gegenden Frankreichs die Seele immer wieder reingestopft, was ihnen aber irgendwie auf die Leber schlägt.


Ja, und damit der Regen nicht aufs Gemüt schlägt, vergeuden wir noch ein bisschen Zeit und bummeln weiter durch die Etymologie. Das Wort „vergeuden“ – nutzlos vertun – ist natürlich auch mit „gähnen“ verwandt. Vergeuden ist eine Präfixbildung zu dem untergegangenen mittelhochdeutschen Verb „guiden“ – prahlen, groß tun, das Maul aufreißen. Wenn Kachelmann jetzt nicht Jörg sondern Guido heißen würde, dann hätte das aber leider nichts mit guiden zu tun. Das wäre Volksetymologie. Guido ist die Kurzform zu Witold und bedeutet Herrscher des Waldes. Das Wort „Wald“ wiederum ist in seiner Herkunft dunkel wie der Wald selbst. Deshalb lieber nicht reingehen (s.o.). Eventuell gehört „Wald“ zur Wortsippe von „wild“. Und das bedeutet „nicht angebaut“, also einfach so wachsend. Genauso ist der heutige Text, - nicht angebaut, sondern einfach unter einem Atlantiktief und Kachelmannschen Strömungspfeilen gewachsen.
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