Mein surrealer Alltag (11) - Fieberschübe

Nachts drehe ich mich von einer Seite auf die andere, alle Knochen schmerzen, die Augen brennen, und mein Brustkorb ist wie ein Zwinger, in dem ein vernachlässigter Hofhund hockt. Der gibt und gibt keine Ruhe. Immer wieder und ohne Anlass bellt er mich lang und ausdauernd an. Erzähle mir keiner, dass bellende Hunde nicht beißen. Der hier wütet in seinem Käfig wie Sau, verbeißt sich in meiner Brust und reißt mir wie toll am Rippenfell. Nicht auszudenken, wenn das Untier die Gitterstäbe knackst und sich befreit. Vor einigen Jahren ist's beinah passiert. Da erlitt ich eine Hustenfraktur. Bis dahin kannte ich das Wort nicht mal, und auch mein Orthopäde sagte, er nehme es nur selten in den Mund. Um eine erneute Hustenfraktur zu verhindern, verspannt sich alles, auch mein armer Bauch, was mir wiederum einen ordentlichen Muskelkater beschert. Schon jetzt zeigt mir der Spiegel einen erfreulichen Nebeneffekt. Nicht mehr lange und ich habe den Waschbrettbauch, für den andere wochenlang ins Fitnessstudio gehen, einfach so herbeigehustet.

Und ach, der Berührungsschmerz der Haut, - sogar in den Wurzeln meiner Brustbehaarung sind kleine böse Geister erwacht, um sich einzureihen in die Schar meiner Peiniger. Was soll das, ungetreues Pack? Es schickt sich nicht, den eigenen Wirt zu quälen. Ich habe den Haaren schon angedroht, sie vor die Tür zu setzen, sie zu rupfen oder auszureißen, wenn sie sich nicht benehmen. „Man kann auch einen Bären zanken!“, habe ich gesagt. Aber es schert sie nicht. Entweder haben sie meine trichotillomanische Drohung nicht verstanden oder sie haben mich nicht ernst genommen, weil ich einfach zu schwach und hinfällig wirke, unfähig, eine grobe Gewalttat zu vollbringen.

fieberschuebe1
Wie beim Schüttelfrost die Eiseskälte in Gluthitze übergeht, das ist recht unterhaltsam. Schon immer haben mich Unwetter fasziniert. Die unbändige Kraft der Natur lässt einen erbeben. Es gibt wie im Auge des Orkans auch hier einen Ort der Ruhe, einen Augenblick des Behagens, wenn man sich nämlich gerade warm gezittert hat, wenn das Zähneklappern langsam verebbt. Doch dann wird von irgendwo „Zugabe!“ gerufen und „Heizt den Kessel kräftig ein!“ „Bitte keine Verschwendung der Ressourcen!“, will ich noch einwenden, doch ich bin einfach zu schwach, die durchgeknallten Heizer aufzuhalten. Der Holzstapel hinterm Haus hätte für einen ganzen langen Winter gereicht, jetzt jagen sie ihn in einer Nacht durch den Kamin.

Wenn das
Ofenrohr brennt, wenn die Silberbronze leise knisternd Blasen treibt, um Plättchen für Plättchen abzuplatzen, dann geht es in meinem Kopf ziemlich drollig zu. So glaubte ich vor zwei Nächten, meine Adern und Venen, mein gesamter Kreislauf wäre das Hannöversche U-Bahn-Netz. Schon stand ich an einem Bahnsteig, wollte meinen Besitz inspizieren und mich vom ordnungsgemäßen Ablauf des U-Bahnverkehrs überzeugen. Die Bahn rollte heran und war zu meinem Erstaunen völlig überfüllt. Man ließ mich freilich bereitwillig ein, die im Gang Stehenden rückten geflissentlich zur Seite und machten ein Gasse auf. Alle Blicke wandten sich dem hinteren Ende zu. Im hellen Licht saß da beim Fenster eine attraktive Frau, und neben ihr war ein Platz für mich reserviert. Stumm komplimentierte man mich hin, und wie ich näher komme, ist’s die ehemalige Bischöfin Käßmann. Sie legte mir, sobald ich saß, sogleich ihre kühlende Hand auf die Stirn. Da sagte ich: „Danke, Frau Käßmann, jetzt können wir endlich in den Frühling fahren.“ Das war natürlich Unsinn, denn wenn man mit einer U-Bahn durch das System meiner Adern und Venen fährt, sieht man vom Frühling so gut wie gar nichts.

Solche Fieberphantasien sind, genau besehen, nicht weit entfernt von den realen Abläufen in der Welt, sollten sie denn wirklich so sein, wie sie das Fernsehen spiegelt. Würden meine Fieberfantasien über Nacht mit dem Mediengeschehen vertauscht, keiner tät’s merken. Einmal habe ich aus Not und um mich abzulenken mehrere Stunden ferngesehen. Manche tun sich das täglich an und sogar nachts. Es ist eines der großen Mysterien des Lebens, warum sie nicht irgendwann schreiend aus dem Haus laufen.
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