Papiere des PentAgrion - 2.5 Planet der Postboten

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Folge 2.1 Die Macht der Jacke - Folge 2.2 Von den Socken - Folge 2.3 Realer Ruch des Blutes - Folge 2.4 Der Autor ist verwirrt

Der Leibniztempel auf einer Halbinsel im Georgengarten der Stadt Hannover war lange Zeit verwaist. Jetzt ist Leibniz zurückgekehrt. Seine Büste steht zentral im Säulenrund auf einem Sockel und auf einer Tafel steht zu lesen, dass es Gottfried Wilhelm Leibniz ist, den man hier aufgestellt hat. Der große Philosoph und letzte Universalist hält den Kopf leicht schräg nach unten geneigt, als wollte er den Hügel hinab auf den Teich und durch den Park zum Horizont schauen. Der den Leibniz gemeißelt hat, wusste entweder nichts Genaues über die Raumverhältnisse im Leibniztempel oder er hat sich nicht drum gekümmert. Jedenfalls schaut Leibniz keinesfalls den Hügel hinab auf den Teich und durch den Park zum Horizont. Das musste ich für Leibniz machen, er selbst hat überhaupt keinen weiten Horizont, sondern schaut milde lächelnd genau auf eine dicke Säule, vor seiner Nase quasi. Ich saß in der Blickachse von Leibniz auf den Treppenstufen, und theoretisch schaute mir Leibniz in den Nacken. Und anders als er, konnte ich sogar den Kopf drehen und mich umschauen.

Durch den offenen Leibniztempel weht ein Lüftchen, der leichte Sommerwind kräuselt freundlich die Wasserfläche des Teiches. Sacht wehen die langen Triebe der Trauerweide übers Wasser, ringsum das träge Rauschen im Blattwerk der stattlichen Bäume, da gelingt es mir eine Weile, mich zu besinnen. Denn es ist so, meine Gedanken wollen derzeit immer abschweifen und um eine Stelle kreisen, vielmehr um drei, vier fünf solcher Stellen, zwischen denen sie hin- und herhüpfen. An manchen Stellen ist’s schön wie im Leibniztempel, nur genau dort verweilen die Gedanken am kürzesten, hüpfen rasch wieder zurück dahin, wo es weh und weher tut. Ja, und wenn es mir dann gelingt, diesen Spuk in meinem Kopf zu beruhigen, weil sich die Natur ringsum doch solche Mühe mit mir gibt, dann ist es plötzlich der Tempel selbst, der mich Schmerzen lehrt. Schließlich ist sie mir hier einmal begegnet oder erschienen.

Links im Hang der Halbinsel, nah beim Teichufer und hübsch im Schatten liegt ein junger Mann. Jetzt richtet er sich auf und spielt versonnen auf seiner Gitarre, klimpert leise für sich Harmonien. Sie werden ihm aber bald verbellt, mal solo, mal im kakophonischen Gekläffe. Wie zum Teufel ist es bloß zugegangen, dass der Mensch sich ausgerechnet den Hund zum besten Freund gemacht hat, der doch so unschöne Rufe hervorbringt. Wenn es darum ginge, blöde Tierlaute hören zu wollen, könnten die Hundebesitzer doch ebenso Schafe und Ziegen durch den Park führen. Oder Esel in allen Größen. Ob es um Seelenverwandtschaft geht? Ob das Hündische genau zur Menschennatur passt? Das weiß ich nicht, will aber auch gar nicht darüber nachdenken. Allenfalls, dass es wohl die Tiernatur ist, die Mensch und Hund vergesellschaftet. Da ähneln und ergänzen sie sich.

Im Menschen ist die Tiernatur das Subjektive. Ich habe lange nicht recht verstanden, warum es dem Menschen nicht gelingt, seine Tiernatur ordentlich zu bändigen. In den Papieren des PentAgrion hat gestanden:


„Wer den Menschen ein wenig studiert hat, kann seine subjektiven Verhaltensweisen voraussagen. Dieses Subjektive im Menschen ist das Universale in ihm, das ihn mit allen anderen Lebewesen verbindet. Der Mensch selbst hingegen erlebt die kollektive Tiernatur als sein Eigenes, das ihn von anderen unterscheidet.

Die Sozialbeziehungen des heutigen Menschen drängen ihn in die Vereinzelung. Individualität wird als hochwertig empfunden und speist überaus schädliche Verhaltensweisen. In diesem Dilemma befindet sich der Mensch. Seine egoistischen Verhaltensweisen wurzeln in seiner Natur. Die schädlichen Verhaltensweisen des Menschen sind sein schwarz eingefärbtes Kollektivbewusstsein.“

Vor ein paar Tagen habe ich in meinem Bücherschrank ein Buch wiederentdeckt. Grundlagen der tibetanischen Mystik von Lama Anagarika Govinda. Hin und wieder lese ich darin. Auch eben habe ich darin geblättert. Es hat mir geholfen, die Papiere des PentAgrion besser zu verstehen. Aber man muss kein Buddhist sein, um zu wissen, dass die Vereinzelung des Menschen zu seinem Scheitern führt. Alles Negative und alles Positive in der Welt des Menschen wurzelt in der gemeinsamen Tiernatur. Die Vereinzelung bringt beständig schwarze Netzwerke hervor, die verständige Vergesellschaftung schafft unzählige weiße Netzwerke. Schwarze Posthalter, weiße Postboten.

Der Junge liegt wieder rücklings im Gras, die Gittare neben sich. Ich bin froh, dass er eben gespielt hat. Da habe ich ein Weilchen anderes denken können, unabhängig von einer Postbotin namens Gina Enport, die meinen Träumen entsprungen ist.

Folge 2.6: Forschungsreise durch den Kopf und andere Netze
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