An Handschrift gedacht und nur Tasten gedrückt
von Trithemius - 26. Jan, 19:50
"Glauben Sie, dass irgendwann das Schreiben mit der Hand ganz verschwinden wird?", fragte mich heute am Telefon die Journalistin Constance Frey. Ich muss zugeben, dass ich so weit nicht gedacht hatte. Constance Frey recherchiert für einen Artikel über die Initiative des Grundschulverbands, die Ausgangsschriften abzuschaffen und nur noch Druckschrift zu lehren. Sie sagte, sie habe mit einem Didaktiker gesprochen, und er könne sich vorstellen, dass die Handschrift verschwindet.
Zunächst fiel mir eine ähnliche Entwicklung beim Zeichnen ein. Vor einigen Jahren besuchte ich eine Papierfabrik in Düren. Ihr Hauptgeschäft waren Jahrzehnte lang Transparentpapiere gewesen, also Entwurfpapier für Grafiker und Architekten. Ein Manager des Unternehmens sagte mir, der Markt sei völlig eingebrochen, denn Grafik-Designer oder Architekten würden nicht mehr mit der Hand zeichnen. Diese Entwicklung war schon in den 90ern abzusehen. In einer großen Werbeagentur, die ich besuchte, saßen alle Grafik-Designer an Rechnern, und der Firmenchef sagte stolz: „Sie finden hier im ganzen Haus keinen Bleistift mehr.“ An der Fachhochschule für Design in Aachen emeritierte im Jahr 2004 Klaus Endrikat, Professor für „Zeichnerische Darstellung und Gestaltung, insbesondere Figürliches Zeichnen.“ Mit Endrikat endete auch das Zeichnen an der Fachhochschule, das Fach wird nicht mehr angeboten. Seine letzten beiden Diplomanden hatten das Ende des Zeichnens ironisch überhöht. Sie waren als reisende Zeichner durch die Republik gezogen und hatten darüber ein zeichnerisches Fahrtenbuch geführt.
Im professionellen Bereich ist die Handzeichnung also schon exotisch und wird langfristig nur in der Bildenden Kunst überdauern. Letzlich droht ihr ein Schicksal wie der Kalligrafie – sie wird Kunsthandwerk, etwas für Weihnachts- oder Jahrmärkte bzw. den Volkshochschulkurs.
Könnte das Schreiben mit der Hand ebenso verkommen und allenfalls noch im Hinkritzeln einer Notiz und in der Unterschrift überleben? Wäre es ein Verlust? Schon jetzt ist der persönliche Brief seltener geworden. Dadurch gewinnt er natürlich an Wert, wie alles Seltene als wertvoll empfunden wird, abgesehen von einer seltenen Krankheit oder rarem Erfolg. Sehr verdächtig scheint mir der Prestigewert der teuren Füller. Wer auf sich hält, wer etwas darstellt in dieser Welt, will auch ein edles Schreibgerät besitzen, schreibt aber in der Regel kaum damit. Indem der Füllhalter zum Prestigeobjekt degeneriert, verweist er auf seine schwindende funktionale Bedeutung. Hinsichtlich der Kulturtechnik Schreiben sind solche Füllfederhalter ein Zeichen von Dekadenz. Natürlich lässt sich einwenden, dass viele Erwachsene noch ihre Handschrift pflegen und in Gebrauch nehmen. Ob die Enkelgeneration aber noch genauso empfindet, scheint fraglich.
Noch wird jeder bestätigen, das Schreiben mit der Hand habe einen Wert. Doch worin besteht er? Kaum ein Mensch schreibt heute noch getreulich einen Text ab, wie es die Kopisten des Mittelalters getan haben. Wer mit der Hand schreibt, verfasst selber Texte. Er ordnet seine Gedankenkreise und formt sie zu Zeilen aus, das Denken bekommt eine Richtung, bei der Alphabetschrift von links nach rechts, von der Emotion (dem Antrieb zu schreiben) zur Logik (der wirkungsvollen Ausformulierung) hin. Das geschieht auch beim Schreiben mittels Tastatur. Aber in der Handschrift ist Langsamkeit, Auseinandersetzung mit Material, sie erfordert und trainiert die Feinmotorik. Handschreiben ist ein im besten Sinne ganzheitlicher Vorgang, denn es fordert und fördert gleichermaßen Herz, Hand und Verstand.
Wenn das zeichnende und schreibende Handwerk an Bedeutung verlieren, so deutet sich an, dass der Mensch des Computerzeitalters das praktische Handgeschick aufzugeben bereit ist. Das handwerkliche Geschick wird museal, weil der postmoderne Mensch sich immer seltener als ganzheitlich erlebt, wie auch die ganzheitliche Bildung aus Schulen und Universitäten verschwindet. Zudem ist er kein Handelnder mehr, sondern ein Getriebener unter Zeitdruck.
Hätte ich mich hingesetzt und diese Überlegungen mit der Hand geschrieben, wäre der Text anders geraten. Ob er besser oder schlechter wäre, lässt sich nicht sagen. Aber es ist ein Risiko, eine Fertigkeit zu vernachlässigen, deren Wert man erst erkennt, wenn sie verloren ist. Trotzdem: Der ungenannte Didaktiker wird Recht behalten. Letztlich wird die kulturelle Bildung immer von ökonomischen Überlegungen geprägt.
Abgelegt unter: Schriftwelt im Abendrot
Mehr: Die Handschrift hat Schwindsucht
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Zunächst fiel mir eine ähnliche Entwicklung beim Zeichnen ein. Vor einigen Jahren besuchte ich eine Papierfabrik in Düren. Ihr Hauptgeschäft waren Jahrzehnte lang Transparentpapiere gewesen, also Entwurfpapier für Grafiker und Architekten. Ein Manager des Unternehmens sagte mir, der Markt sei völlig eingebrochen, denn Grafik-Designer oder Architekten würden nicht mehr mit der Hand zeichnen. Diese Entwicklung war schon in den 90ern abzusehen. In einer großen Werbeagentur, die ich besuchte, saßen alle Grafik-Designer an Rechnern, und der Firmenchef sagte stolz: „Sie finden hier im ganzen Haus keinen Bleistift mehr.“ An der Fachhochschule für Design in Aachen emeritierte im Jahr 2004 Klaus Endrikat, Professor für „Zeichnerische Darstellung und Gestaltung, insbesondere Figürliches Zeichnen.“ Mit Endrikat endete auch das Zeichnen an der Fachhochschule, das Fach wird nicht mehr angeboten. Seine letzten beiden Diplomanden hatten das Ende des Zeichnens ironisch überhöht. Sie waren als reisende Zeichner durch die Republik gezogen und hatten darüber ein zeichnerisches Fahrtenbuch geführt.
Im professionellen Bereich ist die Handzeichnung also schon exotisch und wird langfristig nur in der Bildenden Kunst überdauern. Letzlich droht ihr ein Schicksal wie der Kalligrafie – sie wird Kunsthandwerk, etwas für Weihnachts- oder Jahrmärkte bzw. den Volkshochschulkurs.
Könnte das Schreiben mit der Hand ebenso verkommen und allenfalls noch im Hinkritzeln einer Notiz und in der Unterschrift überleben? Wäre es ein Verlust? Schon jetzt ist der persönliche Brief seltener geworden. Dadurch gewinnt er natürlich an Wert, wie alles Seltene als wertvoll empfunden wird, abgesehen von einer seltenen Krankheit oder rarem Erfolg. Sehr verdächtig scheint mir der Prestigewert der teuren Füller. Wer auf sich hält, wer etwas darstellt in dieser Welt, will auch ein edles Schreibgerät besitzen, schreibt aber in der Regel kaum damit. Indem der Füllhalter zum Prestigeobjekt degeneriert, verweist er auf seine schwindende funktionale Bedeutung. Hinsichtlich der Kulturtechnik Schreiben sind solche Füllfederhalter ein Zeichen von Dekadenz. Natürlich lässt sich einwenden, dass viele Erwachsene noch ihre Handschrift pflegen und in Gebrauch nehmen. Ob die Enkelgeneration aber noch genauso empfindet, scheint fraglich.
Noch wird jeder bestätigen, das Schreiben mit der Hand habe einen Wert. Doch worin besteht er? Kaum ein Mensch schreibt heute noch getreulich einen Text ab, wie es die Kopisten des Mittelalters getan haben. Wer mit der Hand schreibt, verfasst selber Texte. Er ordnet seine Gedankenkreise und formt sie zu Zeilen aus, das Denken bekommt eine Richtung, bei der Alphabetschrift von links nach rechts, von der Emotion (dem Antrieb zu schreiben) zur Logik (der wirkungsvollen Ausformulierung) hin. Das geschieht auch beim Schreiben mittels Tastatur. Aber in der Handschrift ist Langsamkeit, Auseinandersetzung mit Material, sie erfordert und trainiert die Feinmotorik. Handschreiben ist ein im besten Sinne ganzheitlicher Vorgang, denn es fordert und fördert gleichermaßen Herz, Hand und Verstand.
Wenn das zeichnende und schreibende Handwerk an Bedeutung verlieren, so deutet sich an, dass der Mensch des Computerzeitalters das praktische Handgeschick aufzugeben bereit ist. Das handwerkliche Geschick wird museal, weil der postmoderne Mensch sich immer seltener als ganzheitlich erlebt, wie auch die ganzheitliche Bildung aus Schulen und Universitäten verschwindet. Zudem ist er kein Handelnder mehr, sondern ein Getriebener unter Zeitdruck.
Hätte ich mich hingesetzt und diese Überlegungen mit der Hand geschrieben, wäre der Text anders geraten. Ob er besser oder schlechter wäre, lässt sich nicht sagen. Aber es ist ein Risiko, eine Fertigkeit zu vernachlässigen, deren Wert man erst erkennt, wenn sie verloren ist. Trotzdem: Der ungenannte Didaktiker wird Recht behalten. Letztlich wird die kulturelle Bildung immer von ökonomischen Überlegungen geprägt.
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