Plausch mit Frau Nettesheim - Geschlossene Fenster
von Trithemius - 3. Mai, 16:57
Trithemius - Die Heizung geht wieder, Frau Nettesheim. Gestern habe ich über eine Stunde nach der Anleitung für den elektronischen Thermostaten gesucht. Dabei fiel mir auf, dass ich enorm viel Zeug in den Schubladen habe, das ich nicht mehr brauche.
Frau Nettesheim - Und warum werfen Sie nichts davon weg?
Trithemius - Das liegt zum Teil an der „von unbestimmter Sehnsucht erfüllten Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich verklärenden Zeiten, Erlebnissen, Erscheinungen in Kunst; Musik, Mode u. a. äußert.“
Frau Nettesheim - Was für ein Satz! Geht es auch kürzer?
Trithemius - Nostalgie. Sie wissen, Frau Nettesheim, dass ich mich bemühe, Fremdwörter zu vermeiden, aber manchmal fehlt eben ein entsprechendes deutsches Wort. Wegen Nostalgie habe ich im Fremdwörterduden nachgeschlagen. Der Duden braucht zum Verdeutschen 27 Wörter. Was ist wohl der Grund für die Lemmalücke im deutschen Wortschatz?
Frau Nettesheim - Unsere Vorfahren hatten offenbar keinen Bedarf. Vielleicht haben sie sich nie sehnsuchtsvoll an die Vergangenheit erinnert, sondern waren in der Gegenwart zu sehr gefordert und haben auf eine bessere Zukunft gehofft.
Trithemius - Das klingt zwar nach einer gewagten These, Frau Nettesheim, aber irgendwie haben Sie vermutlich Recht. Nostalgie ist erst durch die gereiften 68er in Mode gekommen, wie ich einem aufschlussreichen Essay entnommen habe.
Ich vermute, das Wort kam auf, weil die Welt sich durch die modernen Kommunikationsmittel beschleunigte. Wenn alles so rasch geht und immer schneller in der Versenkung verschwindet, wollen wir manchmal innehalten und zurückblicken, aus der „von unbestimmter Sehnsucht erfüllten Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich verklärenden Zeiten, Erlebnissen, Erscheinungen in Kunst; Musik, Mode u. a. äußert.“ Und wenn einer dieses Gefühl hat und ein anderer fragt, was guckste so blöd, dann ist es einfacher zu sagen: "Ich hab' Nostalgie!“ Auch wenn’s ein Fremdwort ist oder sogar, weil es ein Fremdwort ist.
Frau Nettesheim - So ein Quatschkopfwort kommt mir nicht über die Lippen.
Trithemius - Was halten Sie von Vergangensucht, Früherweh oder Frühersucht, Vergangenweh?
Frau Nettesheim - Frühersucht wäre etwas anderes als Früherweh. Genauso ist Vergangensucht nicht gleich Vergangenweh. Warum haben Sie so viele Gegenstände in Ihren Schubladen, Trithemius?“
Trithemius - Aus Vergangenweh. Ach, die süßen Erinnerungen!
Frau Nettesheim - Heuchler. Vermutlich sind Sie nur zu faul, mal gründlich auszumisten.
Trithemius - Nicht ganz, Frau Nettesheim. Einiges in den Schubladen ist Autobiographie durch Dinge. Anderes, wo ich die Herkunft nicht mehr weiß, liegt da für die Zukunft. Man könnte es vielleicht mal brauchen. Und dann sind da Dinge, die ihre Bedeutung verloren haben, weil sie Technikgeschichte sind: Bedienungsanleitungen, Kassetten, Floppy Discs, Kompakt Discs, CD-Roms, Festplatten. Die Datenträger bewahren ihre Inhalte als stillschweigendes Geheimnis, denn ich besitze keine Geräte mehr, sie zum Sprechen zu bringen. Soll ich die Datenträger wegwerfen? Die Inhalte sind ja noch nicht wirklich im Orkus verschwunden. Man könnte sie theoretisch noch auslesen. Aber sie leiden an Schwindsucht. Wie traurig. Das macht mir so ein Vergangenweh.
Frau Nettesheim - Do mäht mer en Kölle kein Finster för op.
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Frau Nettesheim - Und warum werfen Sie nichts davon weg?
Trithemius - Das liegt zum Teil an der „von unbestimmter Sehnsucht erfüllten Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich verklärenden Zeiten, Erlebnissen, Erscheinungen in Kunst; Musik, Mode u. a. äußert.“
Frau Nettesheim - Was für ein Satz! Geht es auch kürzer?
Trithemius - Nostalgie. Sie wissen, Frau Nettesheim, dass ich mich bemühe, Fremdwörter zu vermeiden, aber manchmal fehlt eben ein entsprechendes deutsches Wort. Wegen Nostalgie habe ich im Fremdwörterduden nachgeschlagen. Der Duden braucht zum Verdeutschen 27 Wörter. Was ist wohl der Grund für die Lemmalücke im deutschen Wortschatz?
Frau Nettesheim - Unsere Vorfahren hatten offenbar keinen Bedarf. Vielleicht haben sie sich nie sehnsuchtsvoll an die Vergangenheit erinnert, sondern waren in der Gegenwart zu sehr gefordert und haben auf eine bessere Zukunft gehofft.
Trithemius - Das klingt zwar nach einer gewagten These, Frau Nettesheim, aber irgendwie haben Sie vermutlich Recht. Nostalgie ist erst durch die gereiften 68er in Mode gekommen, wie ich einem aufschlussreichen Essay entnommen habe.
Ich vermute, das Wort kam auf, weil die Welt sich durch die modernen Kommunikationsmittel beschleunigte. Wenn alles so rasch geht und immer schneller in der Versenkung verschwindet, wollen wir manchmal innehalten und zurückblicken, aus der „von unbestimmter Sehnsucht erfüllten Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu früheren, in der Erinnerung sich verklärenden Zeiten, Erlebnissen, Erscheinungen in Kunst; Musik, Mode u. a. äußert.“ Und wenn einer dieses Gefühl hat und ein anderer fragt, was guckste so blöd, dann ist es einfacher zu sagen: "Ich hab' Nostalgie!“ Auch wenn’s ein Fremdwort ist oder sogar, weil es ein Fremdwort ist.
Frau Nettesheim - So ein Quatschkopfwort kommt mir nicht über die Lippen.
Trithemius - Was halten Sie von Vergangensucht, Früherweh oder Frühersucht, Vergangenweh?
Frau Nettesheim - Frühersucht wäre etwas anderes als Früherweh. Genauso ist Vergangensucht nicht gleich Vergangenweh. Warum haben Sie so viele Gegenstände in Ihren Schubladen, Trithemius?“
Trithemius - Aus Vergangenweh. Ach, die süßen Erinnerungen!
Frau Nettesheim - Heuchler. Vermutlich sind Sie nur zu faul, mal gründlich auszumisten.
Trithemius - Nicht ganz, Frau Nettesheim. Einiges in den Schubladen ist Autobiographie durch Dinge. Anderes, wo ich die Herkunft nicht mehr weiß, liegt da für die Zukunft. Man könnte es vielleicht mal brauchen. Und dann sind da Dinge, die ihre Bedeutung verloren haben, weil sie Technikgeschichte sind: Bedienungsanleitungen, Kassetten, Floppy Discs, Kompakt Discs, CD-Roms, Festplatten. Die Datenträger bewahren ihre Inhalte als stillschweigendes Geheimnis, denn ich besitze keine Geräte mehr, sie zum Sprechen zu bringen. Soll ich die Datenträger wegwerfen? Die Inhalte sind ja noch nicht wirklich im Orkus verschwunden. Man könnte sie theoretisch noch auslesen. Aber sie leiden an Schwindsucht. Wie traurig. Das macht mir so ein Vergangenweh.
Frau Nettesheim - Do mäht mer en Kölle kein Finster för op.
hat mal einer gesagt. (Markus M. Ronner war das, glaub ich.)
Und der weise Robert Lembke meinte,
»Nostalgie ist das, was sich im Gasthaus Hackbraten nennt.«
Wollen Sie damit sagen,