Stimme aus einer neuerdings geschätzten Stadt
Ähnlich ging es mir mit Hannover. Alle Welt hat mich gefragt, warum ich aus dem schönen Aachen ausgerechnet nach Hannover gezogen bin, denn diese Stadt wäre doch wohl der Nacktmull unter den Großstädten. Nein, ganz und gar nicht, habe ich immer gesagt, die Stadt hat viele Reize. Dann habe ich mehrmals tief Luft geholt und ausführlich dargelegt, was mir alles an Hannover gefällt. Man hat mir höflich zugehört, aber nichts von allem geglaubt, sondern innerlich den Kopf geschüttelt oder sich überhaupt geschüttelt und mich mit der Schläfenschraube bedacht.
Dem Nacktmull wird das System seiner Gänge und Höhlen wie die beste aller Welten vorkommen. So könnte man doch meinen, dass wenigstens der Hannoveraner seine Stadt für die schönste aller Städte hält. Als etwa Frau Angela Merkel in Aachen den Karlpreis an den Hals bekam und es plötzlich schrecklich zu regnen begann, da rief der damalige Oberbürgermeister Jürgen Linden ins Mikrophon: "Werte gekrönte Häupter, Staatspräsidenten, Wirtschaftskapitäne und geehelichte Büromiezen, wenn es in Aachen regnet, dann ist es der schönste Regen überhaupt!" Es war Hagel.
Ganz anders der typische Hannoveraner. Bei einem Poetry-Slam im hannöverschen "Faust" zum Thema "Hannover" war kein gutes Wort über die Stadt zu hören, wohl aber Hohn und Spott satt, so dass der Moderator Henning Chadde flehentlich an die Vorzüge Hannovers erinnern musste und das Publikum bat, das Hannover-Bashing nicht ganz ernst zu nehmen. Da hätte ich vorgewarnt sein können. Die Beiträge des Teppichhauses erscheinen auch auf dem Sammelblog: Das bloggende Hannover. Stimmen aus einer unterschätzten Stadt. Kürzlich schrieb ich dem Blogbetreiber, Elias Schwerdtfeger, mich störe der Untertitel: "Stimmen aus einer unterschätzten Stadt":
"Für mich ist das kein guter Slogan, da er etwas Negatives herausstellt und auch nicht vom dem Selbstbewusstsein zeugt, das Hannover gut zu Gesicht stehen würde. Man muss unbefangene Leser nicht darauf aufmerksam machen, welchen Makel man empfindet. Das führt nur dazu, dass dieser angebliche Makel immer wieder neue Beachtung findet. (…) Hannover hat viel vorzuweisen. (...) Ich würde mich wesentlich wohler fühlen in einer Stadt, die eben nicht schwer an dem Makel 'unterschätzt' zu tragen hat."
Elias Schwerdtfeger stellte meine Anregung, einen besseren Slogan zu finden, zur Diskussion, aber sie wurde sogleich vom Kollegen Frontbumpersticker (FS) abgewürgt u.a. damit:"Unsere Elite sind Margot Käßmann, Oliver Pocher, Mousse T., Götz von Fromberg und die Scorpions - bonjour Mittelmaß. Hannover ist grün ohne bäuerlich zu sein, mondän ohne zum Großstadtdschungel zu werden, entspannt ohne abzuschlaffen, bescheiden ohne kleingeistig zu sein, zielstrebig ohne zum Streber zu werden. Hannover ist Durchschnitt - und genau deshalb unterschätzt."
Da half auch nicht mein Einwand:@ FS "Ja, aber, Hannover hat Kurt Schwitters, das allein reicht mir schon. Wenn nicht, dann nenne ich eben noch den Serienmörder Fritz Haarmann. Ich glaube allmählich, Hannover ist eine unterschätzte Stadt, weil ihr es so wollt. Naja, wer sich unterm Schwanz vom Pferd des Königs Ernst August zu verabreden pflegt …"
Beim Mittelmaß vergessen: Heinz Rudolf Kunze, dem ich mal ein Gedicht gewidmet habe, aber nur wegen seiner Sitzbank gegenüber dem Leineschloss. Dagegen kann Hannover noch stolz sein auf Hannah Arendt, die sogar in Hannover-Linden geboren ist, wo auch ich jetzt lebe. Inzwischen aber ist Hannover aus anderen Gründen ganz oben auf, wegen Lena, die nicht besser singen kann als beinah jede Frau, die ich kenne, und Christian Wulff, den das Merkel unglücklicherweise zum Bundespräsidenten gekürt hat. Da hat auch FS offenbar umgedacht, vielmehr ist er von der geballten Hannover-Begeisterung in der Presse umgestimmt worden und listet auf:
Von Twitter trägt er noch Fritz Haarmann nach, weil BILD den Serienmörder in der Liste der Berühmtheiten vergessen hat. Na, denke ich mir, wenn alle jubeln, ist’s keine Kunst. Man muss den Nacktmull schon lieben, bevor ihn jeder als Kuscheltier haben will.
Bild: Was ist das Erfolgsgeheimnis von Hannover?
Süddeutsche: Phänomen an der Leine
HAZ: Das "It-Girl" unter den deutschen Städten
FAZ: Der Bär steppt an der Leine
B.Z.: Aufstieg einer Provinzstadt
DPA: Theorie der Woche - "Heimliche Hauptstadt" Hannover
Welt: Interview mit dem Geist von Hannover
Abgelegt unter: Hannover
Zwar äußerte sich Heinrich Heine (in: Deutschland. Ein Wintermärchen) recht despektierlich –
»Zu Aachen langweilen sich auf der Straß
– aber das nämliche ließe sich etwa ebensogut über Bielefeld et al. behaupten.die Hunde, sie flehn untertänig:
Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird
vielleicht uns zerstreuen ein wenig.«
Über die Aachener
Sie stelzen noch immer so steif herum,
So kerzengerade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt den Stock,
Womit man sie einst geprügelt.
Das kommt der Sache schon näher. ;) Ich kenne keine Stadt in Deutschland, in der man sich derart an die jeweils Herrschenden und Mächtigen heranwanzt wie die Aachener das tun, mit dem Karlspreis und dem Orden wider den tierischen Ernst. Das hat mich als Zugezogenen immer abgestoßen.
Und, obwohl der Name Aachen sich vom altgermanischen Ahha = Wasser herleitet, gibt's da nicht mal einen Bach. Die Bäche fließen allesamt unter der Stadt durch. Fragt man Aachener, was in Aachen fehlt, sagen sie übereinstimmend: "Wasser". Hannover hingegen bietet viel Wasser, die Leine, die Ihme, den Maschsee, die Ricklinger Teiche, den Mittellandkanal.
Trotzdem habe ich manchmal Heimweh nach Aachen. Der Mensch ist halt ein seltsam zerrissenes Wesen. Der wahre Grund für mein Weg- und Hinziehen ist privater Natur.