Was am Feuer beredet und bei Tag erfasst wurde - Mein surrealer Alltag (16)
von Trithemius - 26. Jul, 22:36
Wie das zuging, weiß ich nicht. Wie konnten meine Truppen derart aufgerieben werden? Wieso brach die Nacht so rasch über sie herein, so dass sie in der Finsternis umhertappten und versprengt wurden? Für den Augenblick habe ich einen Ort der Sammlung gefunden. Hier glimmt ein Herdfeuer. Das Holz ist nass und will nicht recht brennen, aber es findet sich mehr als ich erhofft hatte. Mit und mit treffen Truppenteile ein. Die Leute sind im schlechten Zustand. Ihr Stolz ist gebrochen. Stumm hocken sie sich ans Feuer und besehen ihre Wunden.
Die Unterführer sitzen abseits, und ich höre, wie sie leise gegen mich murren, gegen mich, ihren Hauptmann. Wie konnte er uns in diesen Einsatz schicken, fragen sie, wo doch selbst wir Unterführer wussten, dass er kaum zu gewinnen war. Wir waren tapfer und stark, wir hatten das Land beinah befriedet und bauten auf, was zuvor am Boden lag. Aber es mangelte an allem, und dieser Mangel hat uns eine offene Flanke beschert. Sie war nicht zu sichern, und wir wussten, dass dieser Leichtsinn bestraft werden würde.
Sie haben Recht, meine Unterführer. Mir ist es nicht gelungen, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Aber ich dachte, noch Zeit zu haben und bemühte mich, bis die Natur sich mit einer Gewalt gegen uns wandte, wie ich sie kaum zuvor erlebt habe. Es ist wahr, die Nacht kündigte sich an. Doch dann war’s kein Gleiten mehr, sondern ein Sprung gewesen. Grad konnten wir einander noch sehen, grad zuvor sahen wir uns im milden Licht der untergehenden Sonne, aber dann war urplötzlich totale Finsternis. Und Aufruhr und Verwirrung und blindes Umhertappen. Dann, nach dem ersten Schock die verzagten Rufe. Gar schrecklich hallten sie durch die Finsternis, begleitet von großem Wehklagen aus dem Dickicht von Hader und Verzweiflung, Not und Elend.
Nicht, dass er seine Unerfahrenheit ins Feld führen könnte, sagen die Unterführer. Er wusste es, denn hat er uns nicht zuvor versammelt und uns die Schwere des Einsatzes vor Augen geführt? Dass der Nachschub nicht gesichert wär, hat er uns gesagt. Und dass die Sache überhaupt nur zu machen wäre, wenn fremde Hilfe käme. Trotzdem sandte er keine Boten aus, sondern stand nur am Waldrand, den Fuß auf einem Stein und schaute wartend in die Ferne.
„Uns Pioniere hat er völlig alleine gelassen! Er nannte nur ein ungefähres Ziel, gab aber nicht an, wo Wege, Straßen und Brücken hin müssten. Doch das ist kein Wunder, denn er hatte nur einen ungenauen Plan von dem Land, in das er uns geführt hat.“
„Uns von der Versorgung hat er niemals gesagt, dass wir gut haushalten müssen, dass wir nur Verpflegung für wenige Tage hätten. Er war wohl anderweitig beschäftigt, vermutlich mit sich.“
Das finde ich unverschämt von meinem Versorgungsfeldwebel. Selbst wenn er Recht hätte, aber das zu sagen steht ihm nicht zu. In meiner Welt gilt ein anderes Gesetz. Wenn das Ziel gut ist, stellen sich auch die Mittel ein. Das dauerhafte Fehlen der Mittel ist ein Argument gegen das Ziel. Wie kann ich Boten aussenden, wenn ich diesem Ratschluss unterliege? Soll ich sie verschleißen, wenn auch ihre Hilfe nicht reicht? Wir wollen den Morgen abwarten und den Schaden in Ruhe betrachten. Ja, in der Nacht hat sich alles in sich zurückgezogen und war allein mit seinem Schmerz, allein in seinem Schlaf. Doch unter der hellen Sonne, da sieht die Welt wieder anders aus. Da reckt sich alles, was in der Nacht am Boden lag. Man staunt und schaut sich um und stellt mit großer Erleichterung fest, das Leben geht weiter, und alles entfaltet sich auf’s neu. Aber es ist etwas anders als am Tag zuvor. Alles, was sich regt, das ist auch ein bisschen gewachsen.
Die Unterführer horchen auf. „Ei, das ist ja eine feine Philosophie!“, ruft der Versorgungsfeldwebel und spuckt ins Feuer. „Dann braucht der Herr sich nur hinzusetzen und sich was zu wünschen, schon kommen ihm die gebratenen Tauben in den Mund geflogen. Und kommen sie nicht, dann ist’s halt Schicksal, göttlicher Plan oder so’n Zeug. Dann wird der Herr Hauptmann eben verhungern und uns gute Leute gleich mit verderben.“
„Das ist gut gesagt, Feldwebel, aber tifft nicht den Kern. Ich weiß sehr wohl, dass man sich regen muss und sich placken. Aber es rege und placke sich jeder nur in dem Geschäft, indem er eine goldene Hand hat. Wenn nach den Gesetzen der Plausibilität ein Einsatz nicht zum Erfolg führen kann, dann darf man nicht noch fremde Truppen mit hineinziehen. Aber auf sich selbst hoffen, darf man wohl. Und das habe ich getan. Ich bin Pataphysiker und ihr seid es auch. Also schickt euch darein. Wir sind die Hüter und Beschützer des Einzelfalls und machen unsere Sache gut, egal wie schlecht die Verhältnisse sind.“
Da waren sie erstmal still. Aber das lag nicht allein an meinen Worten. Die waren nur Hintergrundmusik. Sie waren still und schöpften Hoffnung, denn die Sonne ging plötzlich auf.
Ich ergreife hier erstmal unverschaemt das wohlige Recht des Initiativ-Kommentars. Obwohl bei genauerem Hinsehen der Eindruck sich nicht abstellen laesst, dass dies wohl ein zweifelhaftes Wohligsein bleiben muss.
Denn dein Text ist sehr komplex, vielschichtig, und man muesste ihn eigentlich 20mal lesen oder mehr (ich habe es zumindest, bis jetzt, auf sechsmal gebracht).. Was da alles so arbeitet und wirkt und richtet im Erzaehler...fremde Maechte! Fremde Maechte, eigene Daemonen, ein Herz, das im Krieg mit sich selbst liegt...
Da zerruetten naechtliche Zweifel alles Festgefuegte, da bringt ein neuer Morgen Hoffnung (unverhoffte Hoffnung), da werden Ziele ueberprueft und ueberworfen, Mittel dazu hinterfragt und hinterlassen.
Da kuendet sich die Nacht an und totale Finsternis bahnt sich an...
(''der Kuenstler ist das Scharnier zwischen Tag und Nacht''...)
Am Ende all der Anfechtungen geht allerdings die Sonne wieder auf...gar nicht so weit das vom euphorischen Zungenschlag dessen, der aesthetisch resigniert...
ratlose, bei alledem jedoch: hoffnungsfrohe, Hoffnung hoffentlich bestaerkende Grueße aus der raumgewinner-redaktion
Aber, um auf das Thema deines Textes zu kommen,
http://raumgewinner.blog.de/2010/07/27/schoener-scheitern-geringe-kunst-aethetischen-resignation-9047964/
der Mut zum schönen Scheitern verlässt mich so schnell nicht. Den habe ich am Hals bis ich in der Kiste liege. Und, ehrlich gesagt, wo doch sowieso die meisten im Urlaub sind oder schön im Garten, zumindest in der Natur, da muss ich nicht immer Rücksicht auf Abwesende nehmen, sondern darf mal schreiben, wie ich gerade lustig bin.
Ich jedenfalls habe mir selbst mal wieder einen visionären Text geschrieben. So wie in der Allegorie, ist es auch gekommen. Nur anders, denn das Leben schreibt doch verflixt immer verwickelter und gehaltvoller als ich es könnte.
Viele Grüße aus dem Teppichhaus,
dein Teppichhändler
Jules