Wir sinds, die Menschen - Teppichhaus-Gastautoren
von Trithemius - 26. Mai, 19:55
Klingeln bis die Leine bebtFlashback Sonntag, 16. Mai 2010, Hannovers Innenstadt war autofrei. Mitten auf der Kreuzung am Aegidientorplatz gaben sieben Poetry-Slammer eine Kostprobe ihres Könnens, unter ihnen Robert Kayser. Sein Beitrag hat mir besonders gut gefallen, und daher eröffnet er die Reihe mit Gastautoren im Teppichhaus Trithemius. Auch diese Bühne hier ist autofrei, auf der Bühne Robert Kayser. Viel Vergnügen, Trithemius
von ROBERT KAYSER
Gottes Plan ist nicht aufgegangen. Nicht die Menschen, sondern die Autos haben sich die Erde untertan gemacht. Die Menschen huldigen ihren blechernen Herren, indem sie alle öffentlichen Freiflächen mit grauem Asphalt abdecken und weiße Linien und Pfeile darauf malen, weil sich die Autos so besonders wohl fühlen. Dass sie die Fläche nicht mehr selbst nutzen können, sondern sich mit schmalen Bürgersteigen am Straßenrand begnügen müssen, nehmen die Menschen in kauf, denn sie sind ja nur Menschen.
Wenn eine außerirdische Intelligenz versuchen sollte, mit den Bewohnern der Erde in Kontakt zu treten, wird sie als erstes die Autos ansprechen. Wer sich das Treiben auf den Straßen und Plätzen anschaut, kommt niemals auf die Idee, dass diese albernen Zweibeiner irgendwas zu sagen haben oder gar die Herrscher des Planeten sein könnten. Die Besucher aus dem All würden selbstverständlich die Autos als Repräsentanten des Planeten erkennen und als Zeichen des Entgegenkommens die Gestalt ihrer Gastgeber annehmen. Sie würden auch ein paar von diesen zweibeinigen leise winselnden Menschen laut anhupen, wenn sie sich frech aus ihren Reservaten an den Straßenrändern hervorwagen, und ab und zu würden sie auch mal einen totfahren, denn als Tourist versucht man ja gern, die Gepflogenheiten der Einheimischen nachzuahmen. Zum Abschied würden sie ihren Gastgebern noch einen großen Gefallen tun und mit einem gigantischen Abgasfurz die langersehnte Klimakatastrophe auslösen, an der die Autos schon so lange arbeiten, und die ihnen endlich die lästigen Zweibeiner vom Hals schafft.
Aber vielleicht haben wir auch Glück, und die Außerirdischen halten uns für die Herrscher des Planeten, weil sie zufällig am Autofreien Sonntag landen. Da das eher unwahrscheinlich ist, können wir nur hoffen, dass sich unsere galaktischen Freunde noch ein paar Jahrzehnte Zeit lassen und erst dann landen, wenn das Zeitalter des Automobils vorbei ist und wir uns die blechernen Unterdrücker als die zweckdienlichen Transportmittel nutzbar machen, als die sie ursprünglich mal gedacht waren.
Doch woran werden wir erkennen, dass das Zeitalter des Automobils vorbei ist?
Vielleicht daran, dass man mitten auf dem Aegi sein eigenes Wort verstehen kann, auch wenn nicht gerade Autofreier Sonntag ist. Daran, dass man sich vor allem überhaupt mal dort aufhalten kann und will, also mitten auf dem Platz, um dort zu verweilen, und nicht nur am Rand, um rasch von Lärm und Abgasen genervt weiterzulaufen. Daran, dass man auf dem Weg in die Mitte des Platzes oder über den Platz hinweg weder angehupt noch angeschrien, beschimpft oder totgefahren wird.
Wenn man sich doch nochmal in echte Lebensgefahr begeben will, wird man zivilisationsferne Gegenden aufsuchen oder krasse Extremsportarten betreiben müssen. Man wird sich in zwielichtige Milieus begeben oder sehr konfliktfreudig auftreten müssen, wenn man mal wieder angepöbelt oder bedroht werden will.
Das Ende der automobilen Herrschaft wird auch daran erkennbar sein, dass im Radio nicht mehr vor Flitzerblitzern gewarnt wird. Wenn nämlich irgendein Arschloch mit 120 durch dein Dorf oder deinen Kiez fährt, ist das gar nicht – wie du vielleicht denkst – ein bescheuerter rücksichtsloser Raser, sondern nur ein kleiner Flitzer, der ein bisschen Spaß haben will. Und den muss man davor schützen, dass er geblitzt wird. Der ist nämlich ganz traurig, der Flitzer, wenn er geblitzt wird. Und wenn die kleine Lara auf der Straße spielt und der Flitzer sie totfährt, dann ist das ein tragischer Unfall, und dann stellen wir Schilder auf, dass doch die Flitzer bittebitte nicht ganz so schnell flitzen sollen, wegen der Kinder, aus Rücksicht. Freiwillig. Bittebitte. Wir wissen ja, dass ihr die Herren der Welt seid und so, und wir wollen ja auch gar keine Ökosteuern mehr von euch und keine Tempolimits, aber lasst doch bitte ein paar von unseren Kindern am Leben, ihr lieben Flitzerlein.
In der durch die Flitzerblitzer freiwerdenden Sendezeit könnte man stattdessen Einbrecher darüber informieren, welche Häuser mit Alarmanlagen ausgestattet sind und welche nicht. Und Ladendiebe (die natürlich dann Stibitzer hießen) könnte man vor Kaufhausdetektiven warnen (die man heiter-originell Stibitzerknipser nennen wüde): „ffn-Hörer Kevin hat Stibitzerknipser bei Esprit gesehen. Also dort bitte besonders vorsichtig stibitzen. Und jetzt geht’s weiter mit den Superhits der 80er und 90er.“
Auch das Flensburger Punktesystem könnte man dann stattdessen auf Eigentumsdelikte anwenden. Kaufhausdiebstahl bis zu einem Warenwert von 100 Euro: 1 Punkt. Taschendiebstahl auf offener Straße: 4 Punkte, Wohnungseinbruch: 7 Punkte, bewaffneter Raubüberfall mit Geiselnahme und allem Tamtam: 12 Punkte. Und wenn das Punktekonto voll ist, wird die Kreditkarte gesperrt.
Im postautomobilen Zeitalter wird man beim Tippen eines Textes für einen Poetry Slam nicht mehr vor Schreck vom Stuhl fallen, weil draußen mal wieder irgendein Autofahrer seine Hupe ausprobieren muss. Der Text würde auch nicht von den Unbilden der autogerechten Stadt handeln, sondern vielleicht von tyrannischen außerirdischen Invasoren, die uns dann unterdrücken werden.
Und nicht nur die Hochniveauprosa des Poetry Slam, auch die Presseerzeugnisse vom unteren Ende der Niveauskala werden von der Zeitenwende betroffen sein. Bei steigenden Kraftstoffpreisen z.B. werden die armen Leser der Bildzeitung nicht mehr von der schlimmen Benzinwut geplagt werden. Das furchtbare Krankheitsbild der Benzinwut beschreibt ja merkwürdigerweise nicht die Wut auf die skrupellosen Benzinverbrenner, die den Planeten an den Rand des Abgrunds gebracht haben, sondern die Wut der Benzinverbrenner darüber, dass sie in ihrem Zerstörungswahn nicht noch mehr Unterstützung erfahren als sowieso schon.
Auch die bisher stets reich gefüllte Rubrik „Böse böse Radfahrer“ der hier ansässigen Niederniveaublätter aus dem Madsack-Verlag, eine Fundgrube fein gesponnener Holzhammerpropaganda, die einem manchmal richtig Angst machen kann vor diesen skrupellosen Autoverweigerern, wird gut beraten sein, sich neue Opfer zu suchen, denn wir werden dann ganz schön viele Radfahrer sein. Wir werden in der Mitte der Straße fahren, und wir werden klingeln, dass die Erde bebt. Wir werden uns nicht mehr auf Bürgersteige und schmale Fahrradstreifen zwängen lassen. Wir werden die scheißlangweiligen Linien und Pfeile übermalen mit bunten Bildern, wir werden Bäume pflanzen, auch mitten auf der Straße, und wir werden alle Ampeln auf rot stellen als Mahnmale, und dann immer bei rot rüberfahren.
Robert Kayser
Blog: Wirkweise