Abendbummel online - Große Zylinder rauchen lange Zigarren überall
von Trithemius - 2. Mai, 18:37
Der Junge radelt auf einen Supermarkt zu, wirft sein Rad quer in den Eingang und läuft hinein. Kurz darauf kommt ein Angestellter des Supermarkts nach draußen und stellt das Rad kopfschüttelnd an die Seite. „Keine Manieren!“, wird er gedacht haben.
Über fehlende Manieren sprachen letzten Sonntag die Philosophen Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski in der ZDF-Sendung „Philosophisches Quartett“ mit dem Essayisten und Kritiker Fritz J. Raddatz sowie dem Unternehmensberater Prinz Asfa-Wossen Asserate. Der Prinz hat ein Buch über Manieren geschrieben, was Fritz J. Raddatz qualifizierte, blieb weitgehend unklar. Dass Manieren das Zusammenleben erleichtern, ist ein Allgemeinplatz. Strittig ist die Frage, was wir darunter zu verstehen haben. Fritz J. Raddatz tadelte den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, weil er Bundeskanzlerin Angela Merkel unter freiem Himmel die Hand geküsst hat, woran ich nichts Schlimmes erkennen kann, solange ich es nicht machen muss. Ein Mann mit Manieren habe auch kein gebrauchtes Tempo-Taschentuch in der Hosentasche, sagte Raddatz, was mich zweimal nicht juckt, denn ich pflege weder in fremde Hosentaschen zu schauen noch hineinzugreifen. Geradezu körperlich angegriffen fühlt Raddatz sich, wenn ihm auf der Rolltreppe einer entgegenkommt und ihm einfach ins Gesicht gähnt.
Wir halten uns übrigens die Hand vor den Mund, weil wir verhindern wollen, dass uns die Seele entfleucht. Die Angst, die Seele könnte sich beim offenen Gähnen davonmachen, ist jedenfalls der Ursprung dieser Geste. Wenn nun jemand gar nicht glaubt, eine flüchtige Seele zu haben – warum sollte er sich beim Gähnen die Hand vor den Mund halten?
Das Quartett klagte auch über die Diktatur des Privaten, genauer über die private Okkupation des öffentlichen Raums, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass Fritz J. Raddatz im ICE die intimen Telefon-Gespräche seiner Mitmenschen mit anhören muss. Viele werden ihm beipflichten, denn tatsächlich wird das Handy auf diese Weise zur modernen Akustikpest. Fritz J, Raddatz allerdings wehrt sich: Er holt eine lange Zigarre hervor und droht, sie anzuzünden, „im Nichtraucherabteil“, falls man um ihn herum das Telefonieren nicht einstellt. Der Prinz attestierte ihm, diese Maßnahme sei durchaus manierlich, denn Raddatz wehre sich ja gegen eine Zumutung.
Als einfacher Landmann bin ich da ganz anderer Ansicht. Und ob unter freiem Himmel geküsst oder nicht, ich habe schon lange nicht mehr einen derartigen Mist gehört. Leider hat es nichts genutzt, dass ich mir einen langen Joint angesteckt habe, denn Raddatz saß ja geschützt im Fernsehstudio. Und da die beiden moderierenden Philosophen kläglich versagt haben, muss ich hier etwas gerade stellen: Das öffentliche Telefonieren ist nicht verboten, das Rauchen im Nichtraucherabteil sehr wohl. Selbst wenn jemand am Handy einen detaillierten Bericht über seine Sexualpraktiken abgibt, schädigt er nicht die Lungen von Herrn Raddatz.
Natürlich hätte ich mit einem Tastendruck verhindern können, dass das unphilosophische Gerede des Philosophischen Quartetts in meine Wohnstube schwappte. Doch es war einfach faszinierend zu hören, was man in gewissen Kreisen unter Manieren versteht. Es sind die Manieren der Mächtigen, die ihre Rechte wenn nötig mit Gewalt durchsetzen. Fragt man sich, warum diese Manieren in Verruf gekommen sind, dann muss man sich nur die jüngere deutsche Geschichte anschauen. Herren mit vorzüglichen Manieren haben zwei Weltkriege angezettelt und Millionen Menschen in den Tod geschickt. Heute lassen Herren mit ausgezeichneten Manieren Werbeslogans erdenken wie „Geiz ist geil!“ oder „Saubillige Ostern!“ Der manierliche Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht, fand es einst höchst amüsant, sich für die Zulassung des Privatfernsehens einzusetzen. Die Herren in den Medienkonzernen haben es ihm gewiss artig gedankt. Diese Herren tragen niemals ein gebrauchtes Tempo-Taschentuch in der Hosentasche, doch sie verdienen Millionen, wenn sich hoffnungslos heruntergekommene Menschen in Containern und Nachmittagsshows zum Affen machen.
Auf den Vorstandsetagen wird man die Ansichten von Fritz J. Raddatz und Prinz Asfa-Wossen Asserate teilen. Mir hingegen ist ein offen gähnender Nachtschichtler mit einem Handy am Ohr allemal lieber als das manierliche Pack mit den langen Zigarren.
Guten Abend
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Über fehlende Manieren sprachen letzten Sonntag die Philosophen Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski in der ZDF-Sendung „Philosophisches Quartett“ mit dem Essayisten und Kritiker Fritz J. Raddatz sowie dem Unternehmensberater Prinz Asfa-Wossen Asserate. Der Prinz hat ein Buch über Manieren geschrieben, was Fritz J. Raddatz qualifizierte, blieb weitgehend unklar. Dass Manieren das Zusammenleben erleichtern, ist ein Allgemeinplatz. Strittig ist die Frage, was wir darunter zu verstehen haben. Fritz J. Raddatz tadelte den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, weil er Bundeskanzlerin Angela Merkel unter freiem Himmel die Hand geküsst hat, woran ich nichts Schlimmes erkennen kann, solange ich es nicht machen muss. Ein Mann mit Manieren habe auch kein gebrauchtes Tempo-Taschentuch in der Hosentasche, sagte Raddatz, was mich zweimal nicht juckt, denn ich pflege weder in fremde Hosentaschen zu schauen noch hineinzugreifen. Geradezu körperlich angegriffen fühlt Raddatz sich, wenn ihm auf der Rolltreppe einer entgegenkommt und ihm einfach ins Gesicht gähnt.
Wir halten uns übrigens die Hand vor den Mund, weil wir verhindern wollen, dass uns die Seele entfleucht. Die Angst, die Seele könnte sich beim offenen Gähnen davonmachen, ist jedenfalls der Ursprung dieser Geste. Wenn nun jemand gar nicht glaubt, eine flüchtige Seele zu haben – warum sollte er sich beim Gähnen die Hand vor den Mund halten?
Das Quartett klagte auch über die Diktatur des Privaten, genauer über die private Okkupation des öffentlichen Raums, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass Fritz J. Raddatz im ICE die intimen Telefon-Gespräche seiner Mitmenschen mit anhören muss. Viele werden ihm beipflichten, denn tatsächlich wird das Handy auf diese Weise zur modernen Akustikpest. Fritz J, Raddatz allerdings wehrt sich: Er holt eine lange Zigarre hervor und droht, sie anzuzünden, „im Nichtraucherabteil“, falls man um ihn herum das Telefonieren nicht einstellt. Der Prinz attestierte ihm, diese Maßnahme sei durchaus manierlich, denn Raddatz wehre sich ja gegen eine Zumutung.
Als einfacher Landmann bin ich da ganz anderer Ansicht. Und ob unter freiem Himmel geküsst oder nicht, ich habe schon lange nicht mehr einen derartigen Mist gehört. Leider hat es nichts genutzt, dass ich mir einen langen Joint angesteckt habe, denn Raddatz saß ja geschützt im Fernsehstudio. Und da die beiden moderierenden Philosophen kläglich versagt haben, muss ich hier etwas gerade stellen: Das öffentliche Telefonieren ist nicht verboten, das Rauchen im Nichtraucherabteil sehr wohl. Selbst wenn jemand am Handy einen detaillierten Bericht über seine Sexualpraktiken abgibt, schädigt er nicht die Lungen von Herrn Raddatz.
Natürlich hätte ich mit einem Tastendruck verhindern können, dass das unphilosophische Gerede des Philosophischen Quartetts in meine Wohnstube schwappte. Doch es war einfach faszinierend zu hören, was man in gewissen Kreisen unter Manieren versteht. Es sind die Manieren der Mächtigen, die ihre Rechte wenn nötig mit Gewalt durchsetzen. Fragt man sich, warum diese Manieren in Verruf gekommen sind, dann muss man sich nur die jüngere deutsche Geschichte anschauen. Herren mit vorzüglichen Manieren haben zwei Weltkriege angezettelt und Millionen Menschen in den Tod geschickt. Heute lassen Herren mit ausgezeichneten Manieren Werbeslogans erdenken wie „Geiz ist geil!“ oder „Saubillige Ostern!“ Der manierliche Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht, fand es einst höchst amüsant, sich für die Zulassung des Privatfernsehens einzusetzen. Die Herren in den Medienkonzernen haben es ihm gewiss artig gedankt. Diese Herren tragen niemals ein gebrauchtes Tempo-Taschentuch in der Hosentasche, doch sie verdienen Millionen, wenn sich hoffnungslos heruntergekommene Menschen in Containern und Nachmittagsshows zum Affen machen.
Auf den Vorstandsetagen wird man die Ansichten von Fritz J. Raddatz und Prinz Asfa-Wossen Asserate teilen. Mir hingegen ist ein offen gähnender Nachtschichtler mit einem Handy am Ohr allemal lieber als das manierliche Pack mit den langen Zigarren.
Guten Abend
Weitestgehend...
In den Fernzügen der SNCF ist das Benützen des Mobiltelefons im Großraumabteil übrigens untersagt. Zum Telefonieren muß man in den Vorraum gehen - der allerdings ist bekanntermaßen laut, weil "auf der Achse". Nun, man muß ja auch nicht ständig und überall telefonieren.
Du schreibst:
Wenn nun jemand gar nicht glaubt, eine flüchtige Seele zu haben – warum sollte er sich beim Gähnen die Hand vor den Mund halten?
Darauf allerdings habe ich eine Antwort: weil eigentlich niemand Lust hat, dem Fremden, der ihm begegnet, die Plomben zu kontrollieren oder die Rachenmandeln zu bewundern.