Abendbummel online - schräg dahin
von Trithemius - 27. Jul, 20:19
Angenommen in dieser Sekunde geschieht etwas Absonderliches: Die gesamte Welt schrumpft auf das Spurformat H0. Dann kann man natürlich trotzdem nicht in einen Märklin-Waggon einsteigen, denn auch die Modelleisenbahn bleibt ja maßstabsgetreu. Uff, die Welt ist also im Augenblick nur noch ein siebenundachtzigstel groß, und wir haben nichts davon gemerkt, - weil wir, genau, kein Referenzsystem haben. Die Wahrheit ist, in jeder Sekunde könnte unsere Welt schrumpfen oder sich gewaltig ausweiten, und nur ein eventuell gegebenenfalls göttliches Auge könnte die Sache beobachten.
Die Kapriolen der Welt beschränken sich leider nicht auf Größenverhältnisse. Manchmal wird sie auch in sich instabil. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir das jetzt nur ausgedacht habe, weil ich heute offenbar ein bisschen schräg in der Welt bin.
Spätestens seitdem die Kellnerin mir ihr aufgesperrtes Portemonnaie unter die Nase gehalten hatte, auf dass ich die Zeche einfach reinwerfen sollte wie in einen Klingelbeutel, ohne dass sie die Summe sehen könnte und ob es überhaupt echtes Geld ist, spätestens da war mir der heutige Tag irgendwie seltsam. Möglicher Weise hatte sie sich hinsichtlich Bezahlung einem Gottesurteil unterworfen oder schämte sich, mir wegen eines eventuellen Trinkgelds in die Augen zu schauen, denn verdient hatte sie überhaupt kein Trinkgeld. Eine Weile vorher hatte sie nämlich meinen benutzten Teller weggenommen und nur geschnauft, so dass ich mich selber fragen musste - „Hat’s geschmeckt?“ und - „Ja, danke!“ sagen.
Vorher hatte ich eine Hochzeitsgesellschaft am Rathaus gesehen. Als das Brautpaar die Treppe herabkam, da warf eine dickliche Frau im dunklen Kostüm begeistert Konfetti. Es war hübsch, wie sich aus der Hand der Konfettiwerferin kleine Konfettiwolken davon machten, um über den Marktplatz zu vagabundieren. Ganz offenbar hatte das unbeworfene Brautpaar vergessen, einen kompetenten Zeremonienmeister zu bestellen. Er hätte der Frau gesagt, sie solle sich oben auf der Brüstung postieren, weil an großen Gebäuden unberechenbare Fallwinde auftreten. Vielleicht hätte der Zerominenmeister auch eine andere Brautkutsche gewählt und keinen schwarzen Chevrolet-Kombi mit getönten Scheiben. Zum Glück hatte jemand einen weißen Schleier um die Antenne gebunden. Da sah jeder sofort, das Auto transportiert keine Leichen, sondern ein Hochzeitspaar.
Auf der Krämerstraße hätte ich beinahe selbst dran glauben müssen. Aus einem Modeladen stürzte eine Frau im Shoppingrausch hervor und hätte mich fast mit langstieligen gelben Rosen erstochen. Danach wunderte mich auch der freundliche Mörder im clownesken Frack nicht mehr. Er saß am Fuße des Doms auf einem Schemel, hatte einen buntgeschmückten Bollerwagen vor sich, in dem er Gläser mit selbstgemachtem „Pilgersenf“ feilbot. Da wusste ich endlich, wo die ganzen Heiligtumsfahrt-Pilger abgeblieben waren.
Jetzt erschliest sich auch die Bedeutung der Zahl des Tieres auf dem Haus Nr. 666. Es ist ein Sinnbild für die Ideen des Innenministers Wolfgang Schäuble: Die linke Hausseite symbolisiert die DDR vor der Wiedervereinigung, die rechte Seite die BRD nach der Wiedervereinigung.
Guten Abend
So lange ich noch klug defäkieren kann...
Ich wollte nur sagen: ich halte es für keineswegs verfehlt, das demnächst einmal auszuprobieren, wenn ich wieder einmal so ein Wirtshaus aufsuche (die Betonung liegt auf "wenn": was soll ich denn da?), so als monologischer Dialog: "Haben Sie noch einen Wunsch?" - "Nein, ich bin wunschlos unglücklich!", "Ich möchte dann kassieren, wir haben gleich Schichtwechsel!" - "Ach, wie machen Sie das: ich komme nicht mehr raus aus der Unterschicht!" Usw. Mal sehen, wie lange das dauert, bis die Jungs aus dem Bezirkskrankenhaus kommen...
Und jetzt kommt was ganz Fieses, Misanthropes, Hagestolzes usw.: im gewissem Sinn (und Ausmaß) sind Hochzeitswagen aber Leichenwagen, denn die Hochzeit ist oft der Anfang vom Ende, der Beginn des Stillstands, der Stagnation, des sich Einrichtens und weg Kippens aus dem Hier und Jetzt usw.
Ich bin schon ein Reaktionär, oder?
Trotzdem einen kreatiefsinnigen Sonntagsrest wünscht dem werten Herrn Trittenheim
Der G.
Warum nicht, lieber Graphodino?
Eine Weile konnte ich mir diesen Luxus nicht leisten und habe ihn sehr vermisst. Jetzt gehe ich oft ins Café, weil man dort "in Gesellschaft allein" sein kann, wie der Wiener Caféhausdichter Alfred Polgar gesagt hat. Nirgendwo lese ich die Zeitung so gern wie dort. Und sehr oft schreibe ich mir etwas auf.
Thema Hochzeit, ja, ich verstehe was du meinst, es ist heutzutage schon ein großes Wagnis zu heiraten oder gar Kinder in die Welt zu setzen. Doch was wäre der Mensch ohne Hoffnung.
Dir einen schönen und heiteren Sonntag
Dein Trittenheim