Grüß mir den Kartoffelbrei - Fahrt mit der Linie 9 (4)
von Trithemius - 12. Jan, 18:24
Folge 1 - Folge 2 - Folge 3
Der U-Bahnhof Kröpcke, das ist Brutalismus in lecker. Die Linie 9 reißt mich weg und jagt zum Hauptbahnhof. Wenn du eine Fahrkarte kaufen willst, gehst du am besten zu Fuß durch die an den U-Bahnhof Kröpcke angeschlossene Passarelle. Das ist näher als durch den ganzen Bahnhof zurückzulaufen. Man bleibt dabei auf der 1. Tiefebene. Links und rechts reiht sich ein kleiner Laden an den anderen. Die Passarelle unterquert auch den Hauptbahnhof, und erst am anderen Ende geht’s dann runter auf die 2. Ebene zur U-Bahnstation.
Ich gucke gegen die vorbeiflitzende Tunnelwand und halte Ausschau nach Bauvorleistungen – ein wunderbares Wort, das auch Wundersames bedeutet. Beim Bau der U-Bahn in den 60ern des letzten Jahrhunderts hat man bereits einige zusätzliche Bauwerke für spätere Erweiterungen des U-Bahnnetzes errichtet, Tunnelabschnitte und Geisterbahnhöfe. Ein solcher Geisterbahnhof liegt auch unter der Station Hauptbahnhof.
Manchmal erweitert sich eine Tunnelröhre und gibt den Blick frei auf einen toten Bauvorleistungs-Abschnitt, aber dann rasen die Wände wieder heran bis dicht vor deine Nase. Die meisten Fahrgäste schauen nicht hin, sondern stieren sich lieber ein Loch ins Knie oder sprechen in ihr Mobiltelefon wie der Mann schräg gegenüber: „Richtig, hehehehe! Genau! Hehehehe! Ja, hehehehe! Dann grüß mir mal schön deinen kalt werdenden Kartoffelbrei, Tschau!“ Ich glaube, ich würde mich schämen, so einen Satz laut zu sagen, dass alle rundum ihn hören könnten. Ist der Mobilfunk am Ende erfunden worden, damit ein Knallkopf einen kalten Kartoffelbrei grüßen kann? Was soll bloß aus unseren Kindern werden, bei den Vorleistungen.
Ein junger Mann im grauen Mantel versucht die Süddeutsche zu lesen, ohne der neben ihm sitzenden Türkin dabei ins Gesicht zu langen. Er hat die Zeitung auf ein Viertel zusammengefaltet, zuerst quer und dann längs. Das hilft ihm kaum, aber er muss sowieso raus am Hauptbahnhof. Die Süddeutsche wie auch die FAZ kann man in der Bahn fast so bequem wie ein Buch lesen, wenn man sie zuerst längs und dann quer faltet. Das geht übrigens bei jeder Zeitung mit gerader Spaltenanzahl. Die FAZ hat sogar einmal ein Heftchen herausgebracht, in dem diese probate Faltung erklärt wurde, das ich aber leider nicht mehr finde.
Die Linie 9 hat inzwischen die knallbunte Station Sedanstraße/Lister Meile erreicht. Sie wurde von sieben Graffitikünstlern gestaltet. Vor solchen Arbeiten scheinen andere Sprayer Respekt zu haben. Sie werden fast nie übersprüht oder mit Tags verschmiert. Vielleicht sollten die Städte mehr Auftragsarbeiten vergeben, um der Graffitiplage Herr zu werden. Die Station ist bunt, und ich fürchte bald grau zu werden. Ich habe keine Ahnung, wo die Tarifzone 1 endet, für die ich bezahlt habe. Ab dann bin ich Graufahrer.
Fortsetzung: Lange Straße, Dauerbrot
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Der U-Bahnhof Kröpcke, das ist Brutalismus in lecker. Die Linie 9 reißt mich weg und jagt zum Hauptbahnhof. Wenn du eine Fahrkarte kaufen willst, gehst du am besten zu Fuß durch die an den U-Bahnhof Kröpcke angeschlossene Passarelle. Das ist näher als durch den ganzen Bahnhof zurückzulaufen. Man bleibt dabei auf der 1. Tiefebene. Links und rechts reiht sich ein kleiner Laden an den anderen. Die Passarelle unterquert auch den Hauptbahnhof, und erst am anderen Ende geht’s dann runter auf die 2. Ebene zur U-Bahnstation.
Ich gucke gegen die vorbeiflitzende Tunnelwand und halte Ausschau nach Bauvorleistungen – ein wunderbares Wort, das auch Wundersames bedeutet. Beim Bau der U-Bahn in den 60ern des letzten Jahrhunderts hat man bereits einige zusätzliche Bauwerke für spätere Erweiterungen des U-Bahnnetzes errichtet, Tunnelabschnitte und Geisterbahnhöfe. Ein solcher Geisterbahnhof liegt auch unter der Station Hauptbahnhof.
Manchmal erweitert sich eine Tunnelröhre und gibt den Blick frei auf einen toten Bauvorleistungs-Abschnitt, aber dann rasen die Wände wieder heran bis dicht vor deine Nase. Die meisten Fahrgäste schauen nicht hin, sondern stieren sich lieber ein Loch ins Knie oder sprechen in ihr Mobiltelefon wie der Mann schräg gegenüber: „Richtig, hehehehe! Genau! Hehehehe! Ja, hehehehe! Dann grüß mir mal schön deinen kalt werdenden Kartoffelbrei, Tschau!“ Ich glaube, ich würde mich schämen, so einen Satz laut zu sagen, dass alle rundum ihn hören könnten. Ist der Mobilfunk am Ende erfunden worden, damit ein Knallkopf einen kalten Kartoffelbrei grüßen kann? Was soll bloß aus unseren Kindern werden, bei den Vorleistungen.
Ein junger Mann im grauen Mantel versucht die Süddeutsche zu lesen, ohne der neben ihm sitzenden Türkin dabei ins Gesicht zu langen. Er hat die Zeitung auf ein Viertel zusammengefaltet, zuerst quer und dann längs. Das hilft ihm kaum, aber er muss sowieso raus am Hauptbahnhof. Die Süddeutsche wie auch die FAZ kann man in der Bahn fast so bequem wie ein Buch lesen, wenn man sie zuerst längs und dann quer faltet. Das geht übrigens bei jeder Zeitung mit gerader Spaltenanzahl. Die FAZ hat sogar einmal ein Heftchen herausgebracht, in dem diese probate Faltung erklärt wurde, das ich aber leider nicht mehr finde.
Die Linie 9 hat inzwischen die knallbunte Station Sedanstraße/Lister Meile erreicht. Sie wurde von sieben Graffitikünstlern gestaltet. Vor solchen Arbeiten scheinen andere Sprayer Respekt zu haben. Sie werden fast nie übersprüht oder mit Tags verschmiert. Vielleicht sollten die Städte mehr Auftragsarbeiten vergeben, um der Graffitiplage Herr zu werden. Die Station ist bunt, und ich fürchte bald grau zu werden. Ich habe keine Ahnung, wo die Tarifzone 1 endet, für die ich bezahlt habe. Ab dann bin ich Graufahrer.
Fortsetzung: Lange Straße, Dauerbrot
An das mit der Faltung kann ich mich erinnern...
... und ich glaube (bin mir aber nicht sicher, denn meine Lektüre ist lange her, und ich bin im Alter nicht mehr so konzentriert), das hat Peter de Mendelssohn in "Zeitungsstadt Berlin" geschrieben oder so...
Und die Geisterbahnhöfe erinnern mich an unsresozlistsche Hauptstadt... Und Dein Beitrag erinnert mich überhaupt schon wieder an den Feuilletonmeister Knobloch (was ausdrücklich eine "positive" Rückmeldung ist, denn der Mann war eine Ausnahme-Erscheinung in der Printmedien-Landschaft oder wie man da sagt), und der hat auch "zum Thema geschrieben"; ach, alles ist vernetzt...
Häff fann!
Berlin hat natürlich viel mehr Geheimnisse im Untergrund als Hannover.
Wer viel gelesen hat und viel weiß wie du kann leicht Verknüpfungen herstellen, so dass es ihm vorkommt als sei alles vernetzt. Aber gedankliche Verbindungen müssen von jemandem gedacht werden, sonst blieben die Erscheinungen isoliert.
Für mich ist's auch eine Entdeckungsreise, bei der ich weiße Stellen auf meiner inneren Landkarte ausfülle und sie in mein Netzwerk einbinde.