Trithemius - 28. Mai, 22:10

Schwarzer Hut

Schwarzer Hut

Sind Illichs Ideen nicht Utopie, in Wahrheit nicht durchzusetzen gegen die Macht derer, die von diesem Gesellschaftssystem profitieren?

Und wie sollte das gehen, eigenständiges Lernen außerhalb der Schule? Schulen sind ja auch Verwahranstalten. Am Ende hocken die freigesetzten Kinder und Jugendlichen nur auf Spielplätzen rum oder ziehen marodierend durch die Gegend.

Videbitis (Gast) - 28. Mai, 22:26

Es gibt ja solche Fälle, wo Leute ihre Kinder nicht mehr von der Schule erziehen lassen wollen, sondern das lieber zu Hause machen - der Sexualkundeunterricht ist ihnen zu liberal, Darwins Evolutionstheorie halten sie für falsch, und überhaupt wird ihnen zu wenig gebetet, außerdem wollen die Mädchen plötzlich Hosen tragen.
Mit anderen Worten: Ist die allgemeine Schulpflicht (bestenfalls) nicht auch ein Garant für die Aufrechterhaltung eines demokratischen Mindeststandards? Für das Einüben von sozialer Konfliktbewältigung und für die aufklärerische Vermittlung eines vernünftigen Weltbildes? Kritisches Denken habe ich nicht zu Hause gelernt, sondern zu allererst in der Schule ...
KaterMurr (Gast) - 28. Mai, 22:34

Wir hatten damals in der Schule unsere Gruppen. Hier wurden auf der Folie des "Schweinesystems" allerlei Kapriolen geschlagen, und wir haben dabei viel gelernt (-eigene Lektüre, selbstorganisierte Schülerzeitung etc.). Wohlgemerkt - die (als negativ bewertete) Schule gab auf eine Weise den Rahmen vor, auf den wir uns dann beziehen konnten.
Außerhalb der/ ohne die Schule hätten wir da wohl schwer eine Struktur gefunden.
Wer würde die Energie zum Lernen aufwenden, gäbe es keine Schulpflicht? Sollte man nicht doch erst versuchen, die Schule zu reformieren, statt sich an der verkorksten Gesamtgesellschaft einen Bruch zu heben? Die vertrockneten Doktoren und all die Kriecher und "Fahrradfahrer" verjagen und es mit interessanteren Lehrmethoden versuchen?
Mimiotschka - 28. Mai, 22:35

Ich fürchte auch, dass die plötzliche Entschulung nicht sehr vorteilhaft wäre. Zudem denke ich, dass man die Ungleichheit eher noch befördert. Familien die ohnehin schon bevorteilt sind, weil sie über die finanziellen Ressourcen zur außerschulischen Bildung verfügen, haben wesentlich mehr Möglichkeiten als andere.
Manfred Konradt (Gast) - 28. Mai, 22:45

Die Gesellschaft will sich nicht neu formieren. Alle Ansätze einer alternativen Schule sind versandet. "Summerhill" sagt heute niemanden mehr etwas. Dien "beliebten" antroposophischen Ansätze zeugen vom Unwillen sich mit der realen Welt auseinanderzusetzen. Die sogenannten bildungsnahen Schichten haben -jedenfalls hier in NRW - schon in den 70ern mit Inbrunst gegen die Gesamtschule gekämpft. Weltanschauung geht vor KIndeswohl. Da hat sich in den letzten drei Jahrzehnten wenig geändert.
webgeselle - 28. Mai, 22:56

@Herr_Konradt_nämlich


... ich würde es noch pessimistischer ausdrücken: seit Jahrtausenden gibt es Dutzende und Dutzende toller Ideen und Entwürfe und Theorien usw., "wie man es besser machen" könnte/sollte/müsste, beileibe nicht nur in der (Schul-) Bildung, die aber "zentral" ist im System, was Illich auch betont - und???????

Ja ja - depressiv... Trotzdem...
 
Trithemius - 28. Mai, 22:58

@ Manfred Konradt

Hallo, die Diagnose ist sicherlich zutreffend. Ich fürchte aber , dass die Gesellschaft sich sehr bald umorientieren muss. Wir werden bald mit derart drängenden Fragen beschäftigt sein, da können wir gar nicht umhin zu fragen, wohin wir eigentlich wollen und wie wir erreichen können, dass nicht alles implodiert oder gar explodiert.
Videbitis (Gast) - 28. Mai, 23:00

@KaterMurr: Allerdings gibt Illich zu bedenken, daß die kritisch reflektierende Reformpädagogik eigentlich noch schärfer zu verurteilen ist als die klassische, da sie den Schülern vorgaukele, es sei alles gar nicht so schlimm. Tatsächlich werden die Schüler dann aber in die Konsum- und Leistungsgesellschaft entlassen, und gar nichts läßt sich verändern, sie sind ebenso Verfügungsmasse für den Arbeitsmarkt wie alle anderen. Da ist was dran ...
Mimiotschka - 28. Mai, 23:09

Solange wirtschaftliche Interessen den Maßstab für Bildungsinstitutionen festlegen, kann der Reformwille sich die Hacken ablaufen.
Trithemius - 28. Mai, 23:11

@ videbitis: Überspitzt könnte man sagen, dass gerade die emanzipatorischen Ansätze Augenwischerei sind. Wer nämlich in einem Lernumfeld der Reformpädagogik seinen eigenen Kopf entwickelt, wird nach Verlassen der Schule und Hochschule ziemlich auf den Bauch fallen. Da werden seine eigenen Gedanken gar nicht gern gesehen, er ist nicht willfährig und daher Sand im Getriebe.
Trithemius - 28. Mai, 23:13

@ Mimiotschka: Sie sagen es kürzer, hübscher und prägnanter als ich.
Mimiotschka - 28. Mai, 23:15

Schönes Beispiel hier die Glocksee Schule in Hannover. http://de.wikipedia.org/wiki/Glocksee-Schule
Videbitis (Gast) - 28. Mai, 23:24

@Mimiotschka(23:09): Stimmt.
@Trithemius(23:13): Sand im Getriebe ist in diesem Fall natürlich besser als Öl. Ein kritischer Geist aus einer Reformschule bringt (wieder bestenfalls) wenigstens die Voraussetzungen mit, die Strukturen zu durchschauen, auch wenn er erstmal an der Gesamtsituation nichts ändern kann.
Careca - 29. Mai, 11:44

"ziehen marodierend durch die Gegend"
Oder gehen nach Afghanistan. Oder als Söldner nach Somalia. Oder in die Politik. Stimmt. Das ist keine schöne Aussicht.

Für eine Änderung des Gesellschaftssystems benötigt es einen Paradigmenwechsel. Ich bin kein Freund von Westerwelle und seinen Ansichten, aber Westerwelle hat mit seinem bis zum Erbrechen abgenudeltem Begriff von der "Leistungsgerechtigkeit" etwas treffend charakterisiert, was in uns steckt. Die europäische Gesellschaft ist auf das Individuum ausgerichtet. Das Glück des einzelnen ist höher geachtet, als das der Masse. Wir sind keine Anhänger von Konfuzius, sondern Schüler von Platon und Aristoteles. Wir leben eher das Höhlengleichnis als das Leben ausgerichtet auf eine Gemeinschaft. Das Prinzip der "Leistung" ist als ungeschriebenes Gesetz anerkannt. Wer sich diesem Gesetz verweigert, der wird bestraft.

Leistung ist die Arbeit (ein Produkt aus Kraft und Weg), die pro Zeiteinheit geleistet wird. Das bedeutet, dass wer in einer Stunde entweder viel Kraft aufwendet und/oder weite Strecken zurück legt, mehr leistet als einer, der in einer Stunde Beamter ist. Somit folgt also, dass wer kaum Kraft in seiner Arbeit aufwendet, sich statisch immer am selben Arbeitsort befindet, der leistet weniger als jemand, der mit einem Kehrbesen im Auftrage der Stadt in der gleichen Zeit Straßen fegt. Es bedeutet, dass der Straßenfeger in Relation zu einem Werker bei VW am Montageband mehr leistet. Denn der VW-Werker muss wegen all den ergonomischen Bedingungen kaum noch richtig Kraft aufwenden und er legt pro 8-h-Tag kaum Wegstrecke zurück. Aber er verdient mehr als der Straßenfeger, der wahrscheinlich noch Hartz-4'ler ist und für einen Euro die Stunde arbeitet. Ergo folgt daraus, dass die Merkel bei ihrer letzten Dienstreise sehr viel geleistet hat. Allein die Wegstrecke in ihrer Arbeit hat die Leistung sehr hoch getrieben. Wer also viel im Flieger sitzt und dabei Papiere durcharbeitet, leistet verdammt mehr als ein Straßenkehrer oder VW-Arbeiter.
Jedoch fällt bei der Entlohnung eines auf: Pro Leistung pro Stunde erhält der Straßenfeger weniger Geld als ein VW-Arbeiter, der für seine Leistung einen verdammt guten Stundenlohn erhält.

Konnte mir bis hierhin noch problemfrei gefolgt werden? Denn jetzt wird es wichtig ...

Um über diesen verdammt guten Stundenlohn eines VW-Arbeiters zu gelangen, müssen Politiker eben viel durch die Weltgeschichte reisen. Und eben deswegen erklärt sich, warum Westerwelle und Merkel immer viel unterwegs sind. Und jetzt kommt Westerwelles Schlagwort der "Leistungsgerechtigkeit". Wann hat er es immer wieder öffentlich propagiert? Richtig, wenn er in Deutschland war, wenn er mal nicht viel unterwegs war. Und jetzt wird auch klar, was Westerwilli mit dem unsäglichen abnützen des Wortes "Leistungsbereitschaft" wirklich sagen wollte: das war eine indirekte Forderung, seinen Lohn zu erhöhen. Er wollte nicht mehr auf VW-Niveau entlohnt werden. Schließlich hat er Jurist studiert und meint, er reiße sich den Arsch für Deutschland auf (wer hier jetzt eindeutig zweideutiges auf anderer Ebene versteht, dem sei kopfschüttelnd ein Tadel zugedacht).

"die Macht derer, die von diesem Gesellschaftssystem profitieren"
Jeder, der die Regeln unseres Gesellschaftsystems verstanden hat, kann davon profitieren. Jeder hat seinen Machtbereich und jeder profitiert davon. es unterscheidet sich nicht, ob es zu einem Machtspiel mit der Frau aus dem zweiten Stock kommt, weil die üble Nachrede betreibt. Oder ob die graue Eminenz aus dem Viertel überall seine Finger im Spiel hat. Oder ob der andere auf der Arbeit überall seine Fäden ziehen will. Dann kommt es zu dem Machtspiel: er/sie/es oder ich. Und wenn der eine dann gewonnen hat ("er hat für Ordnung gesorgt", "er hat ein Machtwort gesprochen"), dann wird derjenige Mensch dann als GUT verortet. In der Finanzkrise 2007 gab es zuvor diese Machtspiele. Auf der einen Seite stand Goldman-Sachs, auf der anderen Seite die IKB in Düsseldorf. Die andere Seite war nachher die Verliererseite. Auch die Deutsche Bank gehörte 2007/2008 zu den Gewinnern. Die Lehman Brothers dagegen zu den Verlierern. AIG, HRE usw. usf. haben ebenfalls die Verliererseite bevölkert. Dass es bei der jetzigen EURO-Krise Gewinner gab (u.a.a. die Deutsche Bank) bleibt als GUT verortet. Griechenland als Verlierer aber ist als SCHLECHT verortet worden. Die sollen ja alle mit 21 in Rente gehen und 3000 Euro Rente beziehen. Nein, das stimmt jetzt zwar nicht, aber so lautete doch der Tenor, der Ankläger. Sollen die doch ihre Inseln verkaufen, um aus der Schuldenfalle zu entkommen. Schliesslich will Deutschland ja nicht irgendwann Berlin wieder an die Allierten gegen Geld zurück geben, nur weil die Krise auch den deutschen Raum erreichen sollte. Aber dann sollte die Sorge nicht so groß sein. Die Politiker brauchen ja einfach nur bei der Deutschen bank nachfragen, ob die von dem Krisengewinnlergeld nicht ein Kredit abgeben könnte ... zumindest hatte es in diesem Gesellschaftssystem niemand für seltsam erachtet, dass die Profiteure aus den Rettungsschirmaktionen nachher fleissig bei den Verhandlungen mit am Tisch saßen und dafür dann auch noch Beratergeld kassierten ...
Aufgeschrien hat in Deutschland niemand. Also ist es allgemeiner Konsens, dass Menschen mit Macht eben von dieser profitieren dürfen, egal ob sie diese zum Wohle ihrer eigenen Geldbörse einsetzen oder ob sie sie zum Wohle ihrer eigenen Gruppe praktizieren. Zum Wohle der Gesellschaft? So funktioniert unser Gesellschaftssystem nicht. Wir sind keine Altruisten, die Bibel und einen gewissen Herrn Jesus kennen wir auch nur rudimentär (ist das nicht der, der momentan mit einer gewissen Madonna herummacht? ...), aber wir sitzen alle in einem Boot. Und wenn die Titanic kentert, dann spielen wir noch schnell nen flotten Boogie.

Die Zeiten sind rauher geworden. Klimawandel. Die Eisberge finden sich häufiger im Meer. Aber was schert uns das? Hauptsache wir kommen ganz schnell von A nach B.
Ahoi.

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