Illich kritisiert nicht nur die Schule und das Verschultsein, er zeigt auch an Beispielen, wie sich Bildung gänzlich anders organisieren lässt. Es sind überwiegend Beispiele aus unterentwickelten Regionen in Lateinamerika, wo Bildung in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe ist. Aber auch in unserer Gesellschaft lässt sich eine Menge Bildung ganz anders erlangen, als es Schulen und Universitäten vorsehen. Das beste Beispiel sind die vielen Blogs, in denen Leute sich aus eigenem Antrieb bestimmten Themen widmen und dabei beständig lernen, ohne, dass es ihnen überhaupt auffällt. Hier mal kurz recherchieren, um einen Beitrag sachlich zu untermauern, dort sich kundig machen, um klug und witzig zu kommentieren; überhaupt ist das Schreiben eine wunderbare Denkschule. Nicht umsonst giftet die Presse immer wieder gegen Blogs, denn sie sieht sich in der Oberhoheit über das Denken bedroht. Was in Schule, Universität und Beruf nicht gewollt ist, das selbstständige Denken, unabhängig von der reinen Zweckbestimmung, das können wir hier doch leisten, oder?
Das Internet bietet auf jeden Fall viele Möglichkeiten der Information. Gerade auch der Austausch mit anderen, wie es ja hier gerade passiert, ist eine wunderbare Alternative.
Vor ein paar Tagen habe ich LexiLook - eine "EnzyCLIPädie" des Wissens seiner Besucher in Form kleiner Videos - entdeckt, was Ivan Illich vielleicht gefallen hätte.
Freie Netzwerke bilden, deren Angehörige sich sachbezogen und interessegeleitet auf hierarchisch gleicher Höhe austauschen - genau so etwas schwebte Illich ja auch vor, allerdings im persönlichen Kontakt: Man verabredet sich per Aushang oder Computernetzwerk, um voneinander völlig zwanglos zu lernen. Blogs eignen sich ganz hervorragend dafür.
Der heimliche Lehrplan der Schulen, wie Illich das nennt, vermittelt überwiegend, daß Lernen Streß ist: Es wird immer sanktioniert, und deine ganze Zukunft kann unter Umständen von einer Note abhängen. Daß da in der Regel kein lustgefärbtes Interesse an was auch immer entstehen kann, liegt doch auf der Hand. Wie gut es sein kann, wieviel Spaß es machen kann, mit anderen in freiwillig gewählten Gruppen Zusammenhänge zu erörtern, neue Dinge zu erfahren, Fertigkeiten zu erlangen - das trotz Schule zu schaffen ist allen zu wünschen.
Es ist spät, aber es hat sich gelohnt, so lange aufzubleiben. Ich danke euch allen für den anregenden und kurzweiligen Abend. Illich wird uns noch weiter beschäftigen, zumindest hier bis Sonntag. Netzwerke, wie ihr sie ansprecht, werden wachsen, weitere hinzukommen. Das lässt hoffen.
Schöne Grüße
Trithemius
Careca - 29. Mai, 11:56
Das Positive entdecken?
Gut das wir mal drüber geredet haben. Das Positive an der Sache ist doch, dass jeder Mensch sterblich ist. Man stelle sich vor, das wäre nicht so. Man möchte es sich nicht wirklich vorstellen (wo ist nochmals meine HIGHLANDER-DVD?).
Das Leben ist lebenlanges Lernen. Aber jeder filtert sich das heraus, was er lernen möchte. Das verstärkt sich mit dem Alter immer mehr. Positiv an Schulen ist, dass dort den Menschen eine Lernmöglichkeit geboten wird, wo der Filter noch nicht so stark ausgeprägt ist. Und wenn man von Schulen im Speziellen redet, dann ist inzwischen ist auch positiv zu vermerken, dass dadurch die Kinder, Schüler und Studenten nicht die ganze Zeit nur im Internet oder vor dem Fernseher abhängen. Denn Internet verkürzt das Denken (was man an den vielen Internet-Akrynomen erkennt) und verringert die Vorstellungskraft (ein Twitter-Kommentar über die thailändische Grausamkeiten entfremdet mehr vom Leben als das persönliche Erleben). Und das finde ich positiv an Schule. Vormittags sind dann für die Erwachsenen die Datenhighways nicht mehr so vertopft, wenn man noch schnell ein paar Leerverkäufe setzen muss ... Oder waren es nochmals Lehrverkäufe? Wo ist mein Duden? ;)
... den ich beim Lesen des Buches milde kurativ auf mich niedergehen spürte (ich habe das Buch nur punktuell gelesen, aus den in meinem Blog-Beitrag dazu angedeuteten Gründen, aber ich habe mir Illich "gemerkt" und werde mir, hüstel, "Produkte" von ihm kommen lassen), dass da Einer etliche Zeit vor www (wie wir es heute kennen!) klar sichtig Möglichkeiten erkannt hat, die eben heute noch gar nicht ausgeschöpft sind...
Trotz meiner depressiven Grundstimmung bin ich immer wieder aus dem Häuschen darüber, "was da abgeht" (und dabei "konsumiere" ich ja erst nur, ich habe mich fast nie in eines der "Netzwerke" eingeklinkt usw.).
Mich wundert eher, dass "offizielle Restriktionen" nicht früher und "gründlicher" ansetzten.
Vielleicht hat Koestler doch recht und es gibt diese "Intelligenz der Masse"... Gerade Wessis (und auch Texter und Journalisten!) waren unter der Wende entzückt über den Geist, der da zumindest in großen Teilen (das war vor "Deutschland! Deutschland!") auf den Transparenten und Spruchbändern usw. der Demos zu entdecken war; "das" war "auf einmal da", massenhaft... Und im Net geht Ähnliches ab, deucht mich...
@ webgeselle: Illich konnte seiner Welt so weit voraus sein, weil er sich immer wieder tief in die Vergangenheit gewagt und beharrlich die Quellen untersucht hat. Das enthob ihn dem Alltag und gab ihm eine Art Draufsicht auf die kulturellen Erscheinungen. Dass wir heute so wenige visionäre Denker haben, liegt auch am Ahistorischen unserer Zeit, am Übergewicht der Gegenwart.
Offenbar sind für dich die Netzwerke am besten, die sich kurzfristig oder ganz spontan organisieren, wie dieses hier. Mir geht es ähnlich. Darüberhinaus gehören wir natürlich lose zum Netzwerk der Blogosphäre.
Einen Zeitgeist gibt es immer. Nur ist er manchmal dumpf und lethargisch wie derzeit. Ich habe die Leute in der DDR bewundert, die plötzlich einen neuen Geist entdeckt haben und ganz unblutig imstande waren, ihre verstockte Regierung wegzufegen. Danach waren sie aber offenbar so erschöpft und geblendet, haben "Wahnsinn, Wahnsinn!" gerufen und sind zu Helmut Kohl übergelaufen. Unser Pech.
Gelber Hut
Illich kritisiert nicht nur die Schule und das Verschultsein, er zeigt auch an Beispielen, wie sich Bildung gänzlich anders organisieren lässt. Es sind überwiegend Beispiele aus unterentwickelten Regionen in Lateinamerika, wo Bildung in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe ist. Aber auch in unserer Gesellschaft lässt sich eine Menge Bildung ganz anders erlangen, als es Schulen und Universitäten vorsehen. Das beste Beispiel sind die vielen Blogs, in denen Leute sich aus eigenem Antrieb bestimmten Themen widmen und dabei beständig lernen, ohne, dass es ihnen überhaupt auffällt. Hier mal kurz recherchieren, um einen Beitrag sachlich zu untermauern, dort sich kundig machen, um klug und witzig zu kommentieren; überhaupt ist das Schreiben eine wunderbare Denkschule. Nicht umsonst giftet die Presse immer wieder gegen Blogs, denn sie sieht sich in der Oberhoheit über das Denken bedroht. Was in Schule, Universität und Beruf nicht gewollt ist, das selbstständige Denken, unabhängig von der reinen Zweckbestimmung, das können wir hier doch leisten, oder?
Der heimliche Lehrplan der Schulen, wie Illich das nennt, vermittelt überwiegend, daß Lernen Streß ist: Es wird immer sanktioniert, und deine ganze Zukunft kann unter Umständen von einer Note abhängen. Daß da in der Regel kein lustgefärbtes Interesse an was auch immer entstehen kann, liegt doch auf der Hand. Wie gut es sein kann, wieviel Spaß es machen kann, mit anderen in freiwillig gewählten Gruppen Zusammenhänge zu erörtern, neue Dinge zu erfahren, Fertigkeiten zu erlangen - das trotz Schule zu schaffen ist allen zu wünschen.
Schöne Grüße
Trithemius
Gut das wir mal drüber geredet haben. Das Positive an der Sache ist doch, dass jeder Mensch sterblich ist. Man stelle sich vor, das wäre nicht so. Man möchte es sich nicht wirklich vorstellen (wo ist nochmals meine HIGHLANDER-DVD?).
Das Leben ist lebenlanges Lernen. Aber jeder filtert sich das heraus, was er lernen möchte. Das verstärkt sich mit dem Alter immer mehr. Positiv an Schulen ist, dass dort den Menschen eine Lernmöglichkeit geboten wird, wo der Filter noch nicht so stark ausgeprägt ist. Und wenn man von Schulen im Speziellen redet, dann ist inzwischen ist auch positiv zu vermerken, dass dadurch die Kinder, Schüler und Studenten nicht die ganze Zeit nur im Internet oder vor dem Fernseher abhängen. Denn Internet verkürzt das Denken (was man an den vielen Internet-Akrynomen erkennt) und verringert die Vorstellungskraft (ein Twitter-Kommentar über die thailändische Grausamkeiten entfremdet mehr vom Leben als das persönliche Erleben). Und das finde ich positiv an Schule. Vormittags sind dann für die Erwachsenen die Datenhighways nicht mehr so vertopft, wenn man noch schnell ein paar Leerverkäufe setzen muss ... Oder waren es nochmals Lehrverkäufe? Wo ist mein Duden? ;)
Das war der erste Hammer...
... den ich beim Lesen des Buches milde kurativ auf mich niedergehen spürte (ich habe das Buch nur punktuell gelesen, aus den in meinem Blog-Beitrag dazu angedeuteten Gründen, aber ich habe mir Illich "gemerkt" und werde mir, hüstel, "Produkte" von ihm kommen lassen), dass da Einer etliche Zeit vor www (wie wir es heute kennen!) klar sichtig Möglichkeiten erkannt hat, die eben heute noch gar nicht ausgeschöpft sind...
Trotz meiner depressiven Grundstimmung bin ich immer wieder aus dem Häuschen darüber, "was da abgeht" (und dabei "konsumiere" ich ja erst nur, ich habe mich fast nie in eines der "Netzwerke" eingeklinkt usw.).
Mich wundert eher, dass "offizielle Restriktionen" nicht früher und "gründlicher" ansetzten.
Vielleicht hat Koestler doch recht und es gibt diese "Intelligenz der Masse"... Gerade Wessis (und auch Texter und Journalisten!) waren unter der Wende entzückt über den Geist, der da zumindest in großen Teilen (das war vor "Deutschland! Deutschland!") auf den Transparenten und Spruchbändern usw. der Demos zu entdecken war; "das" war "auf einmal da", massenhaft... Und im Net geht Ähnliches ab, deucht mich...
Offenbar sind für dich die Netzwerke am besten, die sich kurzfristig oder ganz spontan organisieren, wie dieses hier. Mir geht es ähnlich. Darüberhinaus gehören wir natürlich lose zum Netzwerk der Blogosphäre.
Einen Zeitgeist gibt es immer. Nur ist er manchmal dumpf und lethargisch wie derzeit. Ich habe die Leute in der DDR bewundert, die plötzlich einen neuen Geist entdeckt haben und ganz unblutig imstande waren, ihre verstockte Regierung wegzufegen. Danach waren sie aber offenbar so erschöpft und geblendet, haben "Wahnsinn, Wahnsinn!" gerufen und sind zu Helmut Kohl übergelaufen. Unser Pech.