Gib mir einen Stock, einen Schirm oder etwas Ähnliches

Es war ein seltsames Gefühl, in die menschenleere Buchhandlung zu gehen, derweil gegenüber im Elisengarten die Leute auf der Wiese lagen. Doch ich musste mir einen neuen Duden kaufen, denn mein Exemplar von 2004 ist leider veraltet.

Die Halbwertzeit der deutschen Orthographie ist in den Jahren seit der Reform deutlich gesunken. Zum 1. August 2006 wurden einige der Neuregelungen zurückgezogen, und glücklich, wer sich diese schimärenhaften Schreibweisen erst gar nicht angeeignet hat. Ob nun endlich Ruhe im Karton ist?

Wenn dir ein guter Freund auf der Straße begegnet, und er hat sich gerade eine Glatze rasieren lassen, dann bist du mit Recht eine Weile befremdet. Doch bleibt er auf Dauer kahlköpfig, gewöhnst du dich daran. So geht es natürlich auch mit den reformierten Schreibweisen. Und wenn die Schülergenerationen herangewachsen sind, die nach den jetzigen Regeln das Schreiben gelernt haben, werden einige in dieser Orthographie dichten oder lesenswerte Romane schreiben. Spätestens dann sind all jene Reformgegner der Torheit überführt, die behauptet haben, die Orthographiereform sei ein Anschlag auf die deutsche Sprache.

Mediterraner Müßiggang vor dem Café am Münsterplatz, - ich blättere im neuen Duden. Wer mag sich bei hochsommerlichen Temperaturen im April noch darüber ereifern, ob man „kennen lernen“ oder „kennenlernen“ schreiben soll? Die Reform verlangte ursprünglich die Getrenntschreibung. Ich muss zugeben, dass mir die Trennung des Begriffs glatzköpfig vorkam, als ich sie kürzlich in einem Manuskript überall dort angestrichen habe, wo sich die Autoren nicht hatten fügen wollen. Zum Glück habe ich mit Bleistift korrigiert und darf und kann jetzt alles wieder rückgängig machen. Die neue amtliche Rechtschreibung sieht zwar bei Verb+Verb-Zusammensetzungen weiterhin die Getrenntschreibung vor. Für „kennenlernen“ gilt jedoch seit 2006 eine Ausnahme. Man darf es sowohl zusammen als auch getrennt schreiben. Vermutlich war die Rücknahme von „kennen lernen“ ein Bauernopfer. Man hat diesen heiß umstrittenen Brocken den Kritikern zugeworfen, damit sie endlich Ruhe geben. Es gibt im neuen Duden noch weitere Bauernopfer zu besichtigen, denn um den Streit beizulegen, lässt die amtliche Schreibung jetzt eine Fülle von Doppelformen zu.

leicht02Im Duden von 2004 waren alle neuen Schreibweisen in rot gedruckt. Wegen der vielen neuen Doppelformen hat die Dudenredaktion in der 24. Auflage eine weitere Farbe eingeführt: „In allen Fällen, in denen die neue Rechtschreibung mehrere Schreibweisen zulässt, ist die von der Dudenredaktion empfohlene Schreibweise gelb unterlegt.“
(Hinweis zur WB-Benutzung)

Ziemlich buntscheckig ist die neue Orthographie. Eine solche Entwicklung hätte sich Konrad Duden nicht träumen lassen. Für das Gegenteil, die von ihm angestrebte Einheitsschreibung, hat er manchen Kompromiss machen müssen. Hundert Jahre nach der ersten amtlichen Rechtschreibung ist man im deutschen Sprachraum nicht mehr kompromissbereit genug, den Unsinn der Doppelformen zu vermeiden. Der Dudenverlag hat ja mit der Reform sein Monopol auf die amtliche Rechtschreibung verloren. Die gelb unterlegten Schreibweisen sind nur Empfehlungen. Andere Wörterbuchmacher legen die amtlichen Regeln eventuell anders aus. Deshalb müssen in den Redaktionen und Verlagen wieder Hausorthographien eingeführt werden, wenn man nicht verschiedene Schreibweisen nebeneinander gelten lassen will. Dieser an sich unerwünschte Nebeneffekt der verkorksten Reform könnte jedoch bewirken, dass die Deutschen ihre sprachmagische Fixierung auf „Rechtschreibung“ aufgeben und ein wenig mehr Toleranz walten lassen. Die Klimaerwärmung wird dabei helfen. "Wenn de Sonn schön schingt ..."

Es ist durchaus unterhaltsam, im Duden zu lesen, besonders wenn man bei einem Kaffee im Halbschatten lichtgrüner Bäume sitzt. Die Beispielsätze im Regelwerk sind wie kleine Romane aus der Abteilung „Linguistenpoesie“:

Kommaregeln bei Konjunktionen (K 111):
- „Mein Onkel, ein großer Tierfreund, sowie seine 14 Katzen leben jetzt in einer alten Mühle.“
- „Der Becher war außen wie innen vergoldet.“
- „Gib mir einen Stock, einen Regenschirm oder etwas Ähnliches.“

Solche Sätze beflügeln die Phantasie oder die Fantasie oder etwas Ähnliches.

Guten Abend
2164 mal gelesen
medienjunkie2.0 - 16. Apr, 22:14

moin

erstmal glückwunsch, viel erfolg und etwas ähnliches zur neueröffnung, neuem blog oder etwas ähnlichem. lese im moment so wenig blogs, da krieg ich gar nichts mehr mit.

die rechtschreibregeln finde ich zum teil gar nicht schlecht. verbesserungen sind nie schlecht, auch wenn die menschen sich gegen das neue sträuben; hier sind allerdings junge wie alte dagegen, wie ich feststellte. wenn man die regeln sinnvoll und maßvoll verändern würde, wäre der sprache sicher nicht geschadet, leider wurde da zuviel mischmasch betrieben. oder etwas ähnliches.

Trithemius - 17. Apr, 12:50

herzlichen Dank oder so, mein Lieber. Ja, ich habe gesehen, dass du zuletzt Anfang März etwas gebloggt hast, was ich schade finde. Doch man muss Prioritäten setzen.

Ich finde auch, dass einige der Neuregelungen sinnvoll sind, da sie das Stammprinzip stärken. Doch von der Zusammen- und Getrenntschreibung hätte man die Finger lassen sollen, denn die meisten Doppelformen gehen auf ihr Konto.
Viele Köche verderben den Brei: Wenn man bedenkt, dass sich die deutschen Bundesländer, Österreich und die Schweiz einigen mussten, dass die Fachverbände auch mitreden wollten, so verwundert es nicht, wenn eine Reform dabei herauskommt, mit der niemand wirklich glücklich sein kann.
Twoodle (Gast) - 16. Apr, 23:56

Und ich dachte nach der neuen Rechtschreibereform müsste es heissen: "Gib mir einen Stock, einen Regenschirm oder etwas selten Dämliches". Ich könnte mir aber denken, dass das im nächtesn Duden bei den gelb unterlegten Empfehlungen zu finden ist.

Trithemius - 17. Apr, 12:51

Das ist lustig. Warten wir also den nächsten Duden ab.
besucherin (Gast) - 17. Apr, 16:59

Ich bin ziemlich froh, dass ich schon fast schreiben kann. Und auf meinem Duden steht "Maßgebend in allen Zweifelsfällen" und darauf verlasse ich mich.

Die ansonstenhalteicheswiedieFAZ Besucherin

besucherin (Gast) - 17. Apr, 17:00

Ach und Ähnliches hatte ich klein geschrieben...

Die ichmeinjanur Besucherin
Trithemius - 18. Apr, 10:55

Maßgebend in allen Zweifelsfällen ...

... war der Duden bis zur Reform 1996. Dann war Schluss mit dem Unding, dass ein privatwirtschaftlicher Verlag das Monopol hatte, die amtlichen Regeln zu veröffentlichen. Seither dürfen auch andere Verlage Wörterbücher machen und sich auf die amtlichen Regeln berufen, etwa "Wahrig" oder "Bertelsmann". Im Zusammentreffen mit "etwas, allerlei, nichts" und dergleichen wird "ähnliches" stets groß geschrieben.

Dein nixfürungut Trithemius
Trithemius - 18. Apr, 11:06

Die jetzige Dudenorthographie wird von Fachleuten stark kritisiert, weil man die amtlichen Regeln recht willkürlich ausgelegt hat. So kann es passieren, dass ein Lehrer sich auf den Duden verlässt und einen Fehler anstreicht, und der Schüler hält ihm den "Wahrig" unter die Nase und zeigt ihm, dass die von ihm gewählte Schreibweise dort als richtig verzeichnet ist. Zum Glück betrifft es nicht viele Wörter.
besucherin (Gast) - 18. Apr, 14:01

Ähnliches ist dann also kein wieWort mehr, sondern so ein richtiges Nomen?

Die giltfüretwasGroßesKleinesGelbesdasgleiche? Besucherin
Trithemius - 18. Apr, 16:24

Ja, genau, hätte ich gleich sagen können.
Nanina (Gast) - 17. Apr, 20:57

Ich glaube, ich wäre glücklich, wenn ich auf solche Feinheiten achten könnte :)

Mir sind nicht einmal die Basics klar.

Und je mehr ältere Texte man liest, desto schlimmer. Und dann kommen noch Fremdsprachen dazu, heute wollte ich tatsächlich "Ingenieur" mit E am Anfang schreiben, traurig, traurig :(

Umso bemerkenswerter, wenn man sich über die Spezialfälle Gedanken machen kann.

Die wunderbaren Kommabeispielsätzen machen mich eher traurig, da sitzt sicher ein verhinderter Dichter im dunklen Dudenkeller gefangen.

Trithemius - 18. Apr, 11:00

Dudenkeller

Ein verhinderter Dichter im Dudenkeller, das gefällt mir gut. Daraus ließe sich eine schöne Geschichte machen.

Wenn man oft alte Texte liest, deren Orthographie nicht angeglichen ist, bekommt man zumindest eine Idee davon, dass Schreibweisen sich verändern können.

Es ist alles nur eine Sache der Geläufigkeit. Mit den Jahren wächst der Überblick.
immekeppel - 18. Apr, 08:01

verwirrung

haben diese reformen der reform vor allem bei meinen halbwüchsigen kindern gestiftet. erst haben sie nach der einen regel gelernt, dann gab es neue, von denen letztendlich wieder einige zurück genommen wurden (zurückgenommen?)

das ging auch an den lehrern nicht spurlos (Spur los oder doch Spurlos oder vielleicht eher Spur Los?)vorrüber.

Trithemius - 18. Apr, 11:03

Verwirrung

Für Schüler und Lehrer war die verunglückte Reform eine Zumutung. Es gibt ja kaum etwas Blöderes als Schreibweisen zu lernen und zu lehren, die nach kurzer Zeit wieder geändert werden. Da ist viel Lebenszeit verplempert worden, mit dem Ergebnis, dass die Unsicherheit gewachsen ist.
Careca - 18. Apr, 20:55

Mühsam hatte ich mir angelernt gehabt, wieso man damals "Pappplakat" "Pappplakat" und "Schifffahrt" als "Schiffahrt" schrieb. Heute schreibt man auch "Pappplakat" aber die Regel gibt es nicht mehr.

Und bei "Schiffart" kringelt mir noch immer jeder Deutschlehrer herum und schreibt daneben: "total falsch" obwohl ich damit "Pinkelkunst" meinte ... . Okay, das letztere ist auch nicht soooo wichtig ...

Trithemius - 18. Apr, 22:25

Die alte Sparschreibung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten vor einem Vokal verdankten wir Jacob Grimm, und der hatte die Idee gewiss von den Runeninschriften übernommen, wo man ebenfalls keine Verdopplung schrieb.

Von der Kunstform wusste ich bislang noch nichts. Ich vermute, es ist eher "Kunsthandwerk".
Plato (Gast) - 26. Okt, 21:11

gib mir einen Stock, einen Schirm oder ...

Das mag ja alles stimmen, was der Autor da schreibt, also Herr Trithemius, aber es heißt allemal > sowohl......als auch< - und nicht WIE !!! Nichts für ungut, mein Herr, alles ist erlaubt - vielleicht sogar das??

Trithemius - 27. Okt, 13:59

Danke fürs Korrekturlesen ...

habs geändert.

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