Deutsch für Blogger (3) – Abstimmung mit Füßen
Die amtlichen Orthographieregeln gelten nur für Behörden, Schulen und Hochschulen. Fußpfleger können es mit der Rechtschreibung ihres Ladenschilds halten wie sie Kleingeld haben, sollten allenfalls bedenken, dass ein zusätzlicher Buchstabe auch mehr kostet.
Wer sich freilich bewerben will, muss alle Wörter richtig schreiben. In Bewerbungsschreiben hat Rechtschreibung noch immer Fetischcharakter. Ein Fehler, und schon ist man aussortiert. Dem hohen Wert der Orthographie steht die allgemeine Verwirrung gegenüber, wie denn nun richtig geschrieben wird. Die Gründe sind vielfältig. Mit der Orthographiereform hat der Duden seinen Status als „maßgebend in allen Zweifelsfällen“ verloren. Auch andere Verlage dürfen seither die amtlichen Regeln für ihre Wörterbücher zugrunde legen und in Zweifelsfällen eigenmächtig interpretieren. Zudem haben sich einige Verlage und Printmedien der Reform nicht angeschlossen, wie das satirische Magazin Titanic oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die inzwischen eine eigene Hausorthographie verwendet. Auch die Deutsche Presseagentur (dpa) sah sich genötigt, eine Hausorthographie festzulegen, zumal Duden, Wahrig u.a. nach der verkorksten Reform bei vielen Wörtern alternative Schreibweisen zulassen.
Tatsächlich ist den Deutschen mit der Orthographiereform die Einheitsschreibung abhanden gekommen. Augenfällig ist das beim Eszett. Es war schon immer kein vollwertiger Buchstabe, taucht nicht einmal in der Alphabetreihe auf, denn ß ist ja nur die eugraphische Form eines Doppel-s, eine barocke Ligatur aus zwei gleichen Kleinbuchstaben. Anders als viele unsinnige Regeln der neuen Rechtschreibung, ist die Regel für das Eszett logisch. Sie stärkt das Stammprinzip, so dass wir nicht mehr Singular „Kuß“ - Plural „Küsse“ schreiben müssen. Kurzer Vokal: Kuss - Küsse, langer Vokal: Fuß – Füße, diese neue Regelung kann man sich leicht merken.
Trotzdem ist das Eszett unter Druck und wird wohl allmählich aus unserer Orthographie verschwinden und ein Nischendasein führen. Wir werden uns an die Buntscheckigkeit der Orthographie gewöhnen, denn tragisch ist sie nicht. Im Gegenteil, die neue Vielfalt hat Vorzüge, wie schon Mark Twain wusste:
"Gute Rechtschreibung hat mir nie großen Respekt abgenötigt. (...) Bevor die Rechtschreiblehre mit ihren eigenmächtigen Regeln herauskam, haben die Leute mit ihrer Orthographie feine Züge ihres Charakters unbewusst enthüllt und dem, was sie schrieben, aufschlussreiche Ausdrucksnuancen zugefügt. Es ist durchaus möglich, dass die Rechtschreiblehre für uns ein Geschenk von zweifelhaftem Wert war." (Mark Twain)
Und Goethe war Rechtschreibung allemal egal:"Mir, der ich selten selbst geschrieben, was ich zum Druck beförderte, und, weil ich diktierte, mich dazu verschiedener Hände bedienen musste, war die konsequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an: sondern darauf, dass die Leser verstehen, was man damit sagen wollte! Und das haben die lieben Deutschen bei mir doch manchmal getan.“ (Johann Wolfgang Goethe)
Das sollte Fußpflegern und Bloggern recht sein.Vertiefen:
- Die Orthographie ist nicht vom Himmel gefallen
- Müßiger Streit um die Orthographiereform
- Unnötig großer Rucksack - das Eszett wurde aufgepumpt
Abgelegt unter: Teppichhaus Textberatung
Gerne
(Die Schweizer haben sich offensichtlich schon seit Jahren mit der Krückenlösung abgefunden)
Sie sagen es,