Ein Rheinländer in Hannover (1) – "Da nicht für!"
von Trithemius - 19. Feb, 12:05
Hannoveraner sind höfliche Leute. Wenn dir in der Dunkelheit auf dem Bürgersteig eine Rotte Halbwüchsiger entgegenkommt, selbst dann musst du nicht vorsorglich die Straßenseite wechseln; sie stoppen ihre wüsten Gesten, belästigen dich nicht mit harten Worten, sondern verstummen, indem sie dir artig Platz machen. Eines Abends wollte ich verschneite Autos fotografieren. Auf dem Gehweg war nur ein schmaler Streifen geräumt. Da kam eine dunkle Gestalt mir entgegen und verharrte geduldig in der Kälte, bis ich mein Foto geknipst hatte. Ich sagte: „Dankeschön!“, aber die Gestalt sagte wegwerfend: „Ach! Da nicht für!“
Hannoveraner sind freundlich, aber man kann es ihnen nicht wirklich recht machen. Du bist eingeladen, bedankst dich geflissentlich, und was kriegst du zu hören? „Da nicht für!“ Sofort hast du ein schlechtes Gewissen. Hätte man sich für etwas anderes bedanken müssen, für eine riesige, weltbewegende Sache, die einem zuteil wurde, aber man hat’s nicht gemerkt, ist einfach zu blöd?
„Da nicht für!“, nuschelte gestern einer der Moderatoren beim Poetry-Slam im Hannöverschen Kulturzentrum Faust in sein Mikrophon. Es hat mich beruhigt, dass auch Hannoveraner sich gegenseitig keinen Dank gönnen. Leider weiß ich nicht, was der Anlass für „Da nicht für!“ war, denn die Moderatoren Jan Egge Sedelies und Henning Chadde redeten unentwegt durcheinander. „Dankeschön, dass ich nix verstanden habe.“ „Ach, da nicht für!“ Thema des Slams war an diesem Abend was? „Hannover“. Neun Slammer traten an, und die meisten gaben sich redliche Mühe, die Stadt in den Dreck zu ziehen, was mich als Neubürger ziemlich verunsicherte. Sollte ich am Ende einen Knick in der Optik haben und Schönheit sehen, wo nur Beton ist? Schließlich befleißige ich mich, die Stadt in den höchsten Tönen zu loben, wann immer einer wissen will, warum ich ausgerechnet von Aachen nach Hannover und so.
Ja, Hannover hat auch Beton. In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts liebte man den architektonischen Stil des Brutalismus. Inzwischen wollen die Stadtväter den Beton aber loswerden, weshalb es in Hannover viele hartnäckige Baustellen gibt. An Beton hat sich eben schon mancher Bagger die Zähne ausgebissen. Bevor man mich rügt: Ich weiß, es gibt auch Stadtmütter, aber das zarte Geschlecht hatte es nie mit Beton, ausgenommen vielleicht Ursula von der Leyen. An ihre brutalistische Betonfrisur lässt sie keinen Abrissbagger, was wiederum beweist, wie sehr die Architektur die Menschen prägt und manchmal sogar härtet.
Zugegeben, das alles ist abschreckend, aber was hat beispielsweise Wanne-Eickel zu bieten? Doch offenbar nicht viel, aber hätte jemals einer aus Wanne den Beton seiner Stadt verflucht? Nein, der guckt einfach in den Himmel und besingt den Mond. Und sag mal leichthin, in Bielefeld wäre das Wegfahren am schönsten, dann kannst du dich aber warm anziehen. Monatelang haben mich Bielefelder deswegen beschimpft, und manche konnten sogar beinahe Hochdeutsch.
Es war voll im Faust, und wer zu spät kam, musste am Rand stehen. Zuletzt kam eine Blondine, verschmähte den Rand, platzierte sich gut gelaunt mitten im Raum und verstellte etwa 25 Leuten die Sicht auf die Bühne. Immerhin, wenn sie eitel mit dem Kopf wackelte, konnte ich durch ihre Haare gucken. In der Pause stand ich draußen bei den Rauchern. Da sagte einer: „Ich sehe nur den Rücken von so einer blöden Blondine im weißen T-Shirt.“ Darüber habe ich mich doch gewundert. Wenn er gleich hinter ihr saß, warum hat er sie nicht ermahnt? Das ist typisch für Hannoveraner; sie ertragen selbst Unverschämtheiten geduldig und murren nur, wenn sie glauben, unter sich zu sein.
Sinnbildhaft für diesen Untertanengeist ist eine wunderliche Sitte. Auf dem Bahnhofplatz steht das Reiterstandbild von König Ernst August I. Wenn sich Hannoveraner verabreden, dann am liebsten „Unter dem Schwanz“ seines Pferdes. Offenbar gefällt ihnen die Vorstellung, sich vom königlichen Ross bekötteln zu lassen. Als Ernst August noch lebte, hat man die Köttel nämlich gesammelt, um sich im Winter die Hände daran zu wärmen. Wenn der König durch die Stadt ritt und sein Pferd kötteln ließ, dann jubelten seine Untertanen: „Gott schütze den König!“ Und Ernst August I. antwortete generös: „Ach, da nich für!“
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Hannoveraner sind freundlich, aber man kann es ihnen nicht wirklich recht machen. Du bist eingeladen, bedankst dich geflissentlich, und was kriegst du zu hören? „Da nicht für!“ Sofort hast du ein schlechtes Gewissen. Hätte man sich für etwas anderes bedanken müssen, für eine riesige, weltbewegende Sache, die einem zuteil wurde, aber man hat’s nicht gemerkt, ist einfach zu blöd?
„Da nicht für!“, nuschelte gestern einer der Moderatoren beim Poetry-Slam im Hannöverschen Kulturzentrum Faust in sein Mikrophon. Es hat mich beruhigt, dass auch Hannoveraner sich gegenseitig keinen Dank gönnen. Leider weiß ich nicht, was der Anlass für „Da nicht für!“ war, denn die Moderatoren Jan Egge Sedelies und Henning Chadde redeten unentwegt durcheinander. „Dankeschön, dass ich nix verstanden habe.“ „Ach, da nicht für!“ Thema des Slams war an diesem Abend was? „Hannover“. Neun Slammer traten an, und die meisten gaben sich redliche Mühe, die Stadt in den Dreck zu ziehen, was mich als Neubürger ziemlich verunsicherte. Sollte ich am Ende einen Knick in der Optik haben und Schönheit sehen, wo nur Beton ist? Schließlich befleißige ich mich, die Stadt in den höchsten Tönen zu loben, wann immer einer wissen will, warum ich ausgerechnet von Aachen nach Hannover und so.
Ja, Hannover hat auch Beton. In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts liebte man den architektonischen Stil des Brutalismus. Inzwischen wollen die Stadtväter den Beton aber loswerden, weshalb es in Hannover viele hartnäckige Baustellen gibt. An Beton hat sich eben schon mancher Bagger die Zähne ausgebissen. Bevor man mich rügt: Ich weiß, es gibt auch Stadtmütter, aber das zarte Geschlecht hatte es nie mit Beton, ausgenommen vielleicht Ursula von der Leyen. An ihre brutalistische Betonfrisur lässt sie keinen Abrissbagger, was wiederum beweist, wie sehr die Architektur die Menschen prägt und manchmal sogar härtet.
Zugegeben, das alles ist abschreckend, aber was hat beispielsweise Wanne-Eickel zu bieten? Doch offenbar nicht viel, aber hätte jemals einer aus Wanne den Beton seiner Stadt verflucht? Nein, der guckt einfach in den Himmel und besingt den Mond. Und sag mal leichthin, in Bielefeld wäre das Wegfahren am schönsten, dann kannst du dich aber warm anziehen. Monatelang haben mich Bielefelder deswegen beschimpft, und manche konnten sogar beinahe Hochdeutsch.
Es war voll im Faust, und wer zu spät kam, musste am Rand stehen. Zuletzt kam eine Blondine, verschmähte den Rand, platzierte sich gut gelaunt mitten im Raum und verstellte etwa 25 Leuten die Sicht auf die Bühne. Immerhin, wenn sie eitel mit dem Kopf wackelte, konnte ich durch ihre Haare gucken. In der Pause stand ich draußen bei den Rauchern. Da sagte einer: „Ich sehe nur den Rücken von so einer blöden Blondine im weißen T-Shirt.“ Darüber habe ich mich doch gewundert. Wenn er gleich hinter ihr saß, warum hat er sie nicht ermahnt? Das ist typisch für Hannoveraner; sie ertragen selbst Unverschämtheiten geduldig und murren nur, wenn sie glauben, unter sich zu sein.
Sinnbildhaft für diesen Untertanengeist ist eine wunderliche Sitte. Auf dem Bahnhofplatz steht das Reiterstandbild von König Ernst August I. Wenn sich Hannoveraner verabreden, dann am liebsten „Unter dem Schwanz“ seines Pferdes. Offenbar gefällt ihnen die Vorstellung, sich vom königlichen Ross bekötteln zu lassen. Als Ernst August noch lebte, hat man die Köttel nämlich gesammelt, um sich im Winter die Hände daran zu wärmen. Wenn der König durch die Stadt ritt und sein Pferd kötteln ließ, dann jubelten seine Untertanen: „Gott schütze den König!“ Und Ernst August I. antwortete generös: „Ach, da nich für!“
aha,
meine oberösterreichische verwandtschaft pflegte im falle eines (eventuell abzulehnenden/eher resignierten) ersuchens immer "bittig orschi" zu sagen - und ich bin auch lange von einer regionalen spezialsitte ausgegangen ...
Verzeihen Sie meine Unwissenheit, Verehrteste,
auf hochdeutsch
wobei das "ich" allenfalls noch als "i", aber viel öfter gar nicht mehr ausgesprochen wird. und aus dem gar schön so eine art "goar sche" bzw. eben "gorschi" wird. und das ganze dann ohne jede pause ...
Das nenne ich prompte Aufklärung