Abendbummel online - Geschrumpft, Gebügelt und in den Sack gesteckt
von Trithemius - 8. Jun, 20:44
Wenn du vor einem Café sitzt und hinter dir haben sich fünf Griechen um einen Tisch geschart und die akustische Oberhoheit in Besitz genommen, dann ist es eigentlich ganz hübsch, einen Hörsturz zu haben. Da schiebt sich ein Sirren und Schwirren zwischen mich und die lautstarke Welt, mal wie weißes Rauschen, mal wie sphärische Musik, und ich kann mich trotz der Schwadroneure auf meine Zeitung konzentrieren. Sie passt übrigens gut auf den kleinen Cafétisch und lässt sich blättern, ohne vom Wind zerzaust zu werden, denn sie hat das handliche Tabloid-Format. Allerdings weht kaum ein Lüftchen, und es ist drückend schwül.
Mit Pressekonzentration ist natürlich nicht das Schrumpfen einer Tageszeitung von 400 x 570 Millimeter auf 280 x 400 Millimeter gemeint. Trotzdem hat das neue Format der einst stolzen linksliberalen Frankfurter Rundschau etwas mit der Pressekonzentration in Deutschland zu tun.
Es böllert, nicht in meinem Kopf, sondern vor der Rathaustreppe. Dort oben hat sich eine Hochzeitsgesellschaft aufgebaut und lässt sich von einer Konfettikanone beschießen. „Willst du ein Jahr glücklich sein, dann heirate“, weiß ein chinesisches Sprichwort. Gegen das Grau des Alltags setzt die neue Frankfurter Rundschau einen Kessel Buntes. Das missfällt vielen Lesern, wie den Leserbriefen an Bronski, den redaktionseigenen „Leserversteher“ zu entnehmen ist. Im FR-Blog wird noch heftiger kritisiert, was der neue Verleger Alfred Neven-DuMont der Frankfurter Rundschau angetan hat. Nicht jedem ist nach Konfetti für den Verstand.
Ein fernes Grollen. Über dem Rathaus ballen sich bleigraue Wolken, und die Schwalben kreisen hoch im Himmel. Das tun sie übrigens nicht, um uns zu zeigen, dass es bald regnen wird, als wären sie alle von Kachelmann bezahlt. Sie folgen den Insekten, die von den Aufwinden des kommenden Unwetters nach oben gesogen werden.
Nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches mussten die Deutschen ja zuerst einmal von der Obrigkeitshörigkeit geheilt werden, und zu diesem Zweck bescherten uns die Alliierten ein demokratisches Zeitungskonzept. In jeder Stadt vergaben sie zwei Zeitungslizenzen, eine für eine rechtskonservative, eine für eine linksliberale Zeitung. Diese von den Alliierten verordnete Meinungsvielfalt hat unsere Demokratie nachhaltig geprägt, denn sie brachte den Deutschen bei, dass es kein Verbrechen ist, in politischen Fragen unterschiedlicher Meinung zu sein.
Die erste Lizenz erhielten die sozialdemokratisch orientierten Aachener Nachrichten. Sie erschien erstmals am 24. Januar 1945, also noch vor der Kapitulation, denn Aachen war bereits im Oktober 1944 von alliierten Truppen eingenommen worden. Etwa ein Jahr später erschien die CDU-nahe Aachener Volkszeitung. Inzwischen sind beide Zeitungen in einem Verlag aufgegangen, der zu Teilen der CDU-nahen Rheinischen Post gehört. Aachener Nachrichten und Aachener Zeitung teilen sich einen Chefredakteur und einige Ressorts. Meinungsvielfalt darf man da nicht mehr erwarten.
Die Frankfurter Rundschau war übrigens die zweite freie Zeitung nach der Nazidiktatur. Seit 1973 gehörte sie der Karl-Gerold-Stiftung, was ihre Unabhängigkeit als überregionale linke Tageszeitung für drei Jahrzehnte sicherte.
Die Griechen sind plötzlich seltsam still, am Himmel Wetterleuchten, dann ferner Donner. Wir sitzen unter einem großen Schirm, meinetwegen kann es losgehen. Im Jahr 2003 geriet die Frankfurter Rundschau in wirtschaftliche Schwierigkeiten, wurde hin und her verkauft, bis sich der Verlagskonzern M. DuMont Schauberg als Retter andiente. Von 1.700 Mitarbeitern blieben noch 500 übrig, der Chefredakteur Wolfgang Storz wurde gegen den Willen der Redaktion entlassen und durch Uwe Vorkötter von der Berliner Zeitung ersetzt. Mit der ehrwürdigen Frankfurter Rundschau hat das neue Blatt nur noch den Namen gemeinsam.
Große Verlagsgruppen wie M. DuMont Schauberg sammeln Zeitungen. Ursprünglich erschienen im DuMont Verlag der linksliberale Kölner-Stadtanzeiger und die Boulevardzeitung Express. Inzwischen gehören zur Verlagsgruppe auch die konservative Kölnische Rundschau und die Mitteldeutsche Zeitung. Diese auflagenstarke Regionalzeitung für das südliche Sachsen-Anhalt war zu DDR-Zeiten ein Organ der SED. Es ist den Großverlegern offenbar nicht wichtig, welche politische Ausrichtung eine Zeitung hat. Man wird nachher ohnehin alles glatt bügeln. Das Glatte und Bunte verkauft sich einfach besser. Die DuMontsche Frankfurter Rundschau hat einen verrückten Falz. Der sei aus technischen Gründen nötig, erklärt der „Leserversteher“ Bronski. Und er druckt den Tipp einer Leserin ab: Einfach neu falten und drüber bügeln, - genau wie es der Verleger mit der FR gemacht hat.
Die Kellner und Kellnerinnen haben Schichtwechsel und kassieren ab. Die mich bedient hat, kommt offenbar aus dem Osten. So klang es, als sie eben im Vorbeirennen meinen Teller mitnahm und „hat’s geschmeckt“ fragte, ohne meine Antwort noch abzuwarten. Das Café spart am Personal, und so kriegt man als Gast nur eine flüchtige Notversorgung. Jetzt lächelt meine Kellnerin sogar. Na ja, ich habe es mir mit einem Euro Trinkgeld erkauft.
Der Regen geht nieder, spritzt vom Schirm auf meinen Tisch und auf den Zuckerstreuer. In der Untertasse meines Milchkaffees sammelt sich Wasser. Ich packe meine gebügelte Frankfurter Rundschau in den Rucksack, rauche eine Zigarette und schaue in den Regen.
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Mit Pressekonzentration ist natürlich nicht das Schrumpfen einer Tageszeitung von 400 x 570 Millimeter auf 280 x 400 Millimeter gemeint. Trotzdem hat das neue Format der einst stolzen linksliberalen Frankfurter Rundschau etwas mit der Pressekonzentration in Deutschland zu tun.
Es böllert, nicht in meinem Kopf, sondern vor der Rathaustreppe. Dort oben hat sich eine Hochzeitsgesellschaft aufgebaut und lässt sich von einer Konfettikanone beschießen. „Willst du ein Jahr glücklich sein, dann heirate“, weiß ein chinesisches Sprichwort. Gegen das Grau des Alltags setzt die neue Frankfurter Rundschau einen Kessel Buntes. Das missfällt vielen Lesern, wie den Leserbriefen an Bronski, den redaktionseigenen „Leserversteher“ zu entnehmen ist. Im FR-Blog wird noch heftiger kritisiert, was der neue Verleger Alfred Neven-DuMont der Frankfurter Rundschau angetan hat. Nicht jedem ist nach Konfetti für den Verstand.
Ein fernes Grollen. Über dem Rathaus ballen sich bleigraue Wolken, und die Schwalben kreisen hoch im Himmel. Das tun sie übrigens nicht, um uns zu zeigen, dass es bald regnen wird, als wären sie alle von Kachelmann bezahlt. Sie folgen den Insekten, die von den Aufwinden des kommenden Unwetters nach oben gesogen werden.
Nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches mussten die Deutschen ja zuerst einmal von der Obrigkeitshörigkeit geheilt werden, und zu diesem Zweck bescherten uns die Alliierten ein demokratisches Zeitungskonzept. In jeder Stadt vergaben sie zwei Zeitungslizenzen, eine für eine rechtskonservative, eine für eine linksliberale Zeitung. Diese von den Alliierten verordnete Meinungsvielfalt hat unsere Demokratie nachhaltig geprägt, denn sie brachte den Deutschen bei, dass es kein Verbrechen ist, in politischen Fragen unterschiedlicher Meinung zu sein.
Die erste Lizenz erhielten die sozialdemokratisch orientierten Aachener Nachrichten. Sie erschien erstmals am 24. Januar 1945, also noch vor der Kapitulation, denn Aachen war bereits im Oktober 1944 von alliierten Truppen eingenommen worden. Etwa ein Jahr später erschien die CDU-nahe Aachener Volkszeitung. Inzwischen sind beide Zeitungen in einem Verlag aufgegangen, der zu Teilen der CDU-nahen Rheinischen Post gehört. Aachener Nachrichten und Aachener Zeitung teilen sich einen Chefredakteur und einige Ressorts. Meinungsvielfalt darf man da nicht mehr erwarten.
Die Frankfurter Rundschau war übrigens die zweite freie Zeitung nach der Nazidiktatur. Seit 1973 gehörte sie der Karl-Gerold-Stiftung, was ihre Unabhängigkeit als überregionale linke Tageszeitung für drei Jahrzehnte sicherte.
Die Griechen sind plötzlich seltsam still, am Himmel Wetterleuchten, dann ferner Donner. Wir sitzen unter einem großen Schirm, meinetwegen kann es losgehen. Im Jahr 2003 geriet die Frankfurter Rundschau in wirtschaftliche Schwierigkeiten, wurde hin und her verkauft, bis sich der Verlagskonzern M. DuMont Schauberg als Retter andiente. Von 1.700 Mitarbeitern blieben noch 500 übrig, der Chefredakteur Wolfgang Storz wurde gegen den Willen der Redaktion entlassen und durch Uwe Vorkötter von der Berliner Zeitung ersetzt. Mit der ehrwürdigen Frankfurter Rundschau hat das neue Blatt nur noch den Namen gemeinsam.
Große Verlagsgruppen wie M. DuMont Schauberg sammeln Zeitungen. Ursprünglich erschienen im DuMont Verlag der linksliberale Kölner-Stadtanzeiger und die Boulevardzeitung Express. Inzwischen gehören zur Verlagsgruppe auch die konservative Kölnische Rundschau und die Mitteldeutsche Zeitung. Diese auflagenstarke Regionalzeitung für das südliche Sachsen-Anhalt war zu DDR-Zeiten ein Organ der SED. Es ist den Großverlegern offenbar nicht wichtig, welche politische Ausrichtung eine Zeitung hat. Man wird nachher ohnehin alles glatt bügeln. Das Glatte und Bunte verkauft sich einfach besser. Die DuMontsche Frankfurter Rundschau hat einen verrückten Falz. Der sei aus technischen Gründen nötig, erklärt der „Leserversteher“ Bronski. Und er druckt den Tipp einer Leserin ab: Einfach neu falten und drüber bügeln, - genau wie es der Verleger mit der FR gemacht hat.
Die Kellner und Kellnerinnen haben Schichtwechsel und kassieren ab. Die mich bedient hat, kommt offenbar aus dem Osten. So klang es, als sie eben im Vorbeirennen meinen Teller mitnahm und „hat’s geschmeckt“ fragte, ohne meine Antwort noch abzuwarten. Das Café spart am Personal, und so kriegt man als Gast nur eine flüchtige Notversorgung. Jetzt lächelt meine Kellnerin sogar. Na ja, ich habe es mir mit einem Euro Trinkgeld erkauft.
Der Regen geht nieder, spritzt vom Schirm auf meinen Tisch und auf den Zuckerstreuer. In der Untertasse meines Milchkaffees sammelt sich Wasser. Ich packe meine gebügelte Frankfurter Rundschau in den Rucksack, rauche eine Zigarette und schaue in den Regen.