Tres digiti scribunt – totum corpusque laborat
von Trithemius - 9. Feb, 20:20
Scribere qui nescit, nullum putat esse laborem.
Tres digiti scribunt – totum corpusque laborat.
Wer nicht schreiben kann, glaubt, es wäre keine Mühe.
Drei Finger schreiben, und der ganze Körper arbeitet.
(zitiert nach Wattenbach; Das Schriftwesen im Mittelalter, Leipzig 1896)
Seit ich schreiben kann, hat mich diese wunderbare Kommunikations- und Speichertechnik fasziniert. Im Gegensatz zu dem Wort „lesen“ (aufheben) ist „schreiben“ ein Lehnwort aus dem Lateinischen. Das lat. Wort „scribere“ bedeutet „mit dem Griffel eingraben.“ Heutiges Schreiben ist kein Eingraben, keine Inschrift mehr, sondern Aufschreiben, soweit wir dazu noch Material benutzen, einen Beschreibstoff und einen Stift. Die Aufschrift ist schon immer flüchtiger gewesen, und die zunehmende Leichtigkeit des Aufschreibens hat über die Jahrhunderte zu einem inflationären Schriftgebrauch geführt. "Wert, in Erz gegraben zu werden", wie Heinrich von Kleist schreibt, ist die flüchtig erzeugte Aufzeichnung immer seltener. Im Zeitalter der technischen Schrift wird die Handschrift nur noch gering geschätzt. Sie ist beinahe über Nacht ins Greisenalter gekommen und führt ein Nischendasein. Der Kolumnist Thomas Haemmerli vergleicht die Kulturtechnik des Handschreibens mit der überkommenen Kunst des Feuermachens. Man kann ihm kaum widersprechen.
Blicken wir zurück auf Kulturen, die sich an der Grenze zwischen Oralität und Literalität befinden, so wird deutlich, welche enorme Macht dem Schriftbenutzer zukommt. Er wird zur Institution, an der jede mündliche Überlieferung sich brechen kann. Allein das Wissen, dass derartige Aufzeichnungen existieren, muss ausgereicht haben, den Schriftkundigen als Mächtigen zu etablieren, zumal die Schrift im Bewusstsein der Völker fast immer göttlichen Ursprungs ist. So erklärt sich, dass schriftliche Aufzeichnungen Heiligtumscharakter annehmen können, der sich in allen Schriftreligionen noch erhalten hat.
Schriftgebrauch geht einher mit der Abwertung der Alten, sie werden jetzt nicht mehr als kollektives Gedächtnis gebraucht. Schriftliche Aufzeichnungen bieten ein vergleichendes System, das den Schwächen der menschlichen Erinnerung nicht zu unterliegen scheint. „Dass die Dinge geschehen, ist nichts: dass sie gewusst werden, ist alles.“ (Egon Friedell)
Teil 2
Im frühen Mittelalter ist Aufschreiben in erster Linie Abschreiben gewesen. Es ging um das getreuliche Kopieren der Schriften antiker Schriftsteller und vor allem heiliger Texte, wie überhaupt das Wort „Text“ die Bibel meinte, das unveränderlich Gewebte. „Text“ heißt auch die Schriftgröße 20 Punkt, etwa die Größe, in der Gutenberg die 42-zeilige Bibel druckte, wobei er die schönsten Handschriften seiner Zeit nachahmte, also auch in der Größe, um den Eindruck eines handgeschriebenen Buches zu erwecken.
„Der ganze Körper arbeitet“, vom Geist ist nicht die Rede. Es hat im frühen Mittelalter Analphabeten unter den Schreibern gegeben, die nur Wortbilder abmalten, was die vielen Fehler in mittelalterlichen Handschriften erklärt, wenn sie nicht absichtliche Fälschungen waren wie die Urkunde der Konstantinischen Schenkung. Manche schrieben auch Unterschrift und Datum ab, was die Datierung der Handschriften erschwert. Die Wissenschaft der Palaeographie (Handschriftenkunde) verdankt ihr Entstehen den unzähligen gefälschten Urkunden. Als man erkannt hatte, dass Rechtstitel und Privilegien in großer Zahl auf Fälschungen zurückgingen, wuchs der Wunsch nach Beurteilungskriterien, nach denen Fälschungen erkannt werden konnten.
Das Abschreiben klerikaler Texte war Gottesdienst. Wattenbach berichtet von Dietrich, dem ersten Abt von St. Evroul (1050 – 1057). Er war selbst ein trefflicher Schreiber und versuchte seine Mönche auf alle erdenklichen Weisen, zum Schreiben anzuhalten. So pflegte er „die Geschichte eines sehr leichtsinnigen und sündhaften Klosterbruders zu erzählen, der aber ein eifriger Schreiber war und einmal aus freien Stücken einen enormen Folianten geistlichen Inhalts geschrieben hatte. Als er starb, verklagten ihn die Teufel, die Engel aber brachten das große Buch hervor, von dem nun jeder Buchstabe eine Sünde aufwog, und siehe! Es war ein Buchstabe übrig. Da wurde seiner Seele verstattet zum Körper heimzukehren, damit er noch auf Erden Buße thun könne.“
Teil 3
Jedes abgeschriebene Buch ist ein Unikat und entsprechend wertvoll. Selbst die berühmte Bibliothek des Richard de Bury (1287-1345) wird nicht mehr als 400 Bücher umfasst haben. Als Bischof von Durham sammelte er fast manisch Bücher und schreckte auch nicht vor einem Diebstahl zurück, ungeachtet der vielen Schreibernachschriften (Kolophone), die bei Diebstahl des Buches den Tod androhten. Beispielsweise:
Daß Buch ist mir lip,
wer mirß sthilt, der ist ein dip:
eß sey ryter oder knecht,
so ist her an den galgen gerecht.
Wer das puech stel,
desselbeb chel
muzze sich ertoben
hoch an eim galgen oben.
Richard de Bury besaß mehr Bücher als alle anderen englischen Bischöfe zusammen, sein Schlafzimmer lag voll davon, so dass man sich kaum bewegen konnte, ohne auf eines zu treten. Richard de Bury hat das „Philobiblon“ geschrieben, das berühmte Buch von der Bücherliebe, aus dem man nebenher einiges über den Umgang mit den Büchern erfährt, ja, er lässt die Bücher anklagen und lamentieren, was man ihnen alles angetan hat.
Aus diesem Buch bitte ich das aufschlussreiche 17. Kapitel abzuschreiben, arbeitsteilig, wobei jede Textpassage nur einmal vergeben wird. Die Texte werde ich nach Erhalt zusammenführen und zeigen. Denn vor dem handschriftlichen Aufschreiben ist das getreuliche Abschreiben als Kulturtechnik längst verschwunden. Schreiben Sie ab, und Sie werden erleben, wie der ganze Körper arbeitet. Ich habe angefangen, die folgenden Abschnitte stehen gleich im Anschluss zur Wahl:
Bitte wählen Sie einen Abschnitt. Ich werde ihn reservieren.
Vielen Dank fürs Mitmachen. Ich hoffe, es hat gefallen.
Lieben Gruß
Trithemius
Abschriften vergeben an:
Marana: Abschnitt 2
Careca: Abschnitt 3
Mimiotschka: Abschnitt 4
Prof. Coster: Abschnitt 5
Frau SWA: Abschnitt 6
Abschnitt 2
Abschnitt 3
Abschnitt 4
Abschnitt 5
Abschnitt 6
Aus: Richard de Bury; Philobiblon, aus dem Lateinischen übersetzt von Max Frensdorf, Eisenach 1932
Das automatische, gewissermaßen rezeptive Schreiben hingegen ist dennoch ein ganz anderer Vorgang. Aber auch dieses rezeptive Schreiben ist mit der Tastatur keinesfalls zu haben - durch viele Versuchsreihen (eigene! daher nicht zitierfähig eigentlich) nachgewiesen.
:o)