Wikileaks ist zu heiß - Die Journaille badet lieber lau
von Trithemius - 3. Dez, 18:42
Sie habe noch eine letzte Frage, sagte die Mitarbeiterin der Aachener Nachrichten, Denise Petzold, nach meiner Lesung im Aachener Kerstenschen Pavillon: „Warum schreiben Sie?“
Die Frage hat mich ziemlich verblüfft. Warum schreibt der Mensch? Weil Schreiben eine Kulturtechnik ist? Weil es hilft, die Gedanken auszurichten? Weil es ein schöpferischer Akt ist? Weil es eine Form ist, sich mitzuteilen und eine Meinung zu äußern? Es gibt viele Gründe, warum jemand schreibt, und genauso gut hätte Denise Petzold mich fragen können, warum ich spreche.
Sie hat aber etwas anderes gemeint: Warum veröffentlichen Sie? Die junge Frau hat offenbar schon verinnerlicht, wie Redakteure und Journalisten denken, dass man nämlich das Publizieren ihnen überlassen und nicht durch kostenlose Angebote im Internet die Preise kaputtmachen soll. Überdies hat man in den Redaktionen noch immer nicht verkraftet, dass ihnen durch das Internet die Oberhoheit über die Informationsverbreitung und mithin über die Köpfe ihrer Leser abhanden gekommen ist.
Sie selbst fragen sich offenbar nicht, warum sie schreiben, es ist ihr gewählter Beruf, und es ist auch unerheblich, warum sie ihn gewählt haben, wenn sie ihre Arbeit gut machen. Warum jemand diese oder jene Berufung verspürt, ist grundsätzlich nicht von Interesse. Oder haben Sie schon mal Ihren Friseur gefragt, warum er ausgerechnet Haare schneiden und Köpfe waschen will? Er hätte doch auch Klempner werden können oder Versicherungsagent. Ein solches Gespräch empfiehlt sich nicht. Am Ende schmeißt der Mann seinen Bettel hin und lässt Sie mit shampoonierten Haaren sitzen.
Würden Journalisten ihre Arbeit gut machen, hätten sie gewiss nicht soviel Konkurrenz im Internet. Offenbar haben sie sich zu lange in ihrer Schlüsselrolle gesonnt und einen Dünkel entwickelt, der sich schädlich auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkt. Diese Arroganz hat viele vergessen lassen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich mit den Mächtigen und Einflussreichen gemein zu machen. Aber es ist verführerisch, sich mit diesen Leuten zu arrangieren, sich sogar auf deren Seite zu schlagen und sich in der Nähe zu den Informationsanbietern aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu sonnen, um die eigene Eitelkeit zu befriedigen oder in der Hoffnung, man würde ihnen eine vertrauliche Information zustecken. Viele lassen sich auch korrumpieren durch die Journalistenrabatte, die ihnen von Unternehmen gewährt werden.
Würden Journalisten sich all diesen Verlockungen widersetzen, bräuchte man nicht zu fragen, warum sie dies oder das schreiben, doch weil die Presselandschaft erkennbar auf den Hund gekommen ist, muss man es inzwischen bei jedem Zeitungsartikel tun. Die Printmedien nehmen ihre Wächter- und Kontrollfunktion nicht mehr ausreichend wahr, sondern versorgen den Leser zunehmend mit Entertainment und Oberflächenschmiere. Was tatsächlich in unseren Gesellschaften passiert, welche Kräfte am Werk sind, das erfährt man aus den etablierten Massenmedien immer seltener. Natürlich ist investigativer Journalismus anstrengend, teuer, und man macht sich unbeliebt bei denen, deren Gaunereien man aufdeckt. Privatwirtschaftliche Zeitungsverlage müssen abwägen, ob sie investigativen Journalismus betreiben wollen. Deckt eine Redaktion Machenschaften auf wie etwa den CDU-Parteispendenskandal, nimmt sie dabei ein Kauf, dass die Mächtigen der Partei sie hinfort schneiden. Man gibt ihnen kein Interview mehr, lädt sie nicht mehr zu vertraulichen Gesprächen und lässt sich von ihnen nicht mehr auf Auslandsreisen begleiten. Zudem kann ein wirtschaftlicher Schaden entstehen, wenn etwa Unternehmen, die sich den entlarvten Personen verbunden fühlen, keine Anzeigen mehr in der Zeitung schalten. Ebenso heikel ist es, ein großes Unternehmen genau unter die Lupe zu nehmen, das bislang ein wichtiger Anzeigenkunde war.
Plötzlich sehen sich die etablierten Medien überholt durch die Enthüllungsplattform Wikileaks. Eigentlich müsste jede Redaktion jubeln, dass ihnen jetzt Material zur Verfügung steht, an das sie niemals herangekommen wären. Sektkorken müssten knallen und man müsste die besten Leute abstellen, dieses Material zu sichten. Stattdessen begnügt man sich mit dem Klatsch von Botschaftern, freut sich über Formulierungen wie „Teflon-Merkel“, denn Klatsch ist billig und verkauft sich besser als sorgfältig recherchierte Beiträge. Und folgerichtig beschäftigt man sich mit der Person des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Warum macht er das? Welche Ziele verfolgt er? Kaum ein Beitrag über Wikileaks, in dem nicht erwähnt wird, dass Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen polizeilich gesucht wird. Mit dieser Herabsetzung und Vorverurteilung lenkt man von den eigentlichen Skandalen ab, deren Dokumente in dem veröffentlichten Material zu finden sind. Die Konzentration auf die Person Assange zeigt einerseits die Eifersucht der Journaille, dass hier ein Mann investigative Arbeit tut und offenbar besser als sie, andererseits den Unwillen, sich mit dem Material eingehend zu beschäftigen und aufzudecken, was stinkt.
Dank der Süddeutschen Zeitung wissen wir jetzt, dass Assange ein Anarchist ist. Er wirft aber keine Bomben, was ihn vom Terroristen unterscheidet. Während Terroristen den Mächtigen dienen, weil sie deretwegen die Freiheitsrechte einschränken können, rüttelt dieser Anarchist an den dunklen Grundfesten unserer Gesellschaften. Da ist es folgerichtig, dass Politik und Medien in ein Horn stoßen. Dieses einhellige Aufheulen zeigt, wie wichtig diese Enthüllungsplattform ist. Hier kann man keine Seiten von missliebigen Informationen säubern, wie das immer wieder bei den Artikeln von Wikipedia geschieht.
Die schändliche Kumpanei zwischen Medien und Mächtigen muss ein Ende haben, wenn die demokratischen Gesellschaften weiterhin als solche bestehen sollen. Das Verhalten unserer Medien zeigt, wie dringend notwendig die Enthüllungsplattform ist - im globalen Zirkus des schlechten Geschmacks.
Zum Zustand der Massenmedien:
Ein Detail für die Geschichtsbücher
Ohnmacht des Federkiels und Macht der Tasten
Zum Thema Enthüllungen: Nie bist du ohne Nebendir
Teppichhaus Musiktipp
Mintzkov; Opening Fire
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Die Frage hat mich ziemlich verblüfft. Warum schreibt der Mensch? Weil Schreiben eine Kulturtechnik ist? Weil es hilft, die Gedanken auszurichten? Weil es ein schöpferischer Akt ist? Weil es eine Form ist, sich mitzuteilen und eine Meinung zu äußern? Es gibt viele Gründe, warum jemand schreibt, und genauso gut hätte Denise Petzold mich fragen können, warum ich spreche.
Sie hat aber etwas anderes gemeint: Warum veröffentlichen Sie? Die junge Frau hat offenbar schon verinnerlicht, wie Redakteure und Journalisten denken, dass man nämlich das Publizieren ihnen überlassen und nicht durch kostenlose Angebote im Internet die Preise kaputtmachen soll. Überdies hat man in den Redaktionen noch immer nicht verkraftet, dass ihnen durch das Internet die Oberhoheit über die Informationsverbreitung und mithin über die Köpfe ihrer Leser abhanden gekommen ist.
Sie selbst fragen sich offenbar nicht, warum sie schreiben, es ist ihr gewählter Beruf, und es ist auch unerheblich, warum sie ihn gewählt haben, wenn sie ihre Arbeit gut machen. Warum jemand diese oder jene Berufung verspürt, ist grundsätzlich nicht von Interesse. Oder haben Sie schon mal Ihren Friseur gefragt, warum er ausgerechnet Haare schneiden und Köpfe waschen will? Er hätte doch auch Klempner werden können oder Versicherungsagent. Ein solches Gespräch empfiehlt sich nicht. Am Ende schmeißt der Mann seinen Bettel hin und lässt Sie mit shampoonierten Haaren sitzen.
Würden Journalisten ihre Arbeit gut machen, hätten sie gewiss nicht soviel Konkurrenz im Internet. Offenbar haben sie sich zu lange in ihrer Schlüsselrolle gesonnt und einen Dünkel entwickelt, der sich schädlich auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkt. Diese Arroganz hat viele vergessen lassen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich mit den Mächtigen und Einflussreichen gemein zu machen. Aber es ist verführerisch, sich mit diesen Leuten zu arrangieren, sich sogar auf deren Seite zu schlagen und sich in der Nähe zu den Informationsanbietern aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu sonnen, um die eigene Eitelkeit zu befriedigen oder in der Hoffnung, man würde ihnen eine vertrauliche Information zustecken. Viele lassen sich auch korrumpieren durch die Journalistenrabatte, die ihnen von Unternehmen gewährt werden.
Würden Journalisten sich all diesen Verlockungen widersetzen, bräuchte man nicht zu fragen, warum sie dies oder das schreiben, doch weil die Presselandschaft erkennbar auf den Hund gekommen ist, muss man es inzwischen bei jedem Zeitungsartikel tun. Die Printmedien nehmen ihre Wächter- und Kontrollfunktion nicht mehr ausreichend wahr, sondern versorgen den Leser zunehmend mit Entertainment und Oberflächenschmiere. Was tatsächlich in unseren Gesellschaften passiert, welche Kräfte am Werk sind, das erfährt man aus den etablierten Massenmedien immer seltener. Natürlich ist investigativer Journalismus anstrengend, teuer, und man macht sich unbeliebt bei denen, deren Gaunereien man aufdeckt. Privatwirtschaftliche Zeitungsverlage müssen abwägen, ob sie investigativen Journalismus betreiben wollen. Deckt eine Redaktion Machenschaften auf wie etwa den CDU-Parteispendenskandal, nimmt sie dabei ein Kauf, dass die Mächtigen der Partei sie hinfort schneiden. Man gibt ihnen kein Interview mehr, lädt sie nicht mehr zu vertraulichen Gesprächen und lässt sich von ihnen nicht mehr auf Auslandsreisen begleiten. Zudem kann ein wirtschaftlicher Schaden entstehen, wenn etwa Unternehmen, die sich den entlarvten Personen verbunden fühlen, keine Anzeigen mehr in der Zeitung schalten. Ebenso heikel ist es, ein großes Unternehmen genau unter die Lupe zu nehmen, das bislang ein wichtiger Anzeigenkunde war.
Plötzlich sehen sich die etablierten Medien überholt durch die Enthüllungsplattform Wikileaks. Eigentlich müsste jede Redaktion jubeln, dass ihnen jetzt Material zur Verfügung steht, an das sie niemals herangekommen wären. Sektkorken müssten knallen und man müsste die besten Leute abstellen, dieses Material zu sichten. Stattdessen begnügt man sich mit dem Klatsch von Botschaftern, freut sich über Formulierungen wie „Teflon-Merkel“, denn Klatsch ist billig und verkauft sich besser als sorgfältig recherchierte Beiträge. Und folgerichtig beschäftigt man sich mit der Person des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Warum macht er das? Welche Ziele verfolgt er? Kaum ein Beitrag über Wikileaks, in dem nicht erwähnt wird, dass Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen polizeilich gesucht wird. Mit dieser Herabsetzung und Vorverurteilung lenkt man von den eigentlichen Skandalen ab, deren Dokumente in dem veröffentlichten Material zu finden sind. Die Konzentration auf die Person Assange zeigt einerseits die Eifersucht der Journaille, dass hier ein Mann investigative Arbeit tut und offenbar besser als sie, andererseits den Unwillen, sich mit dem Material eingehend zu beschäftigen und aufzudecken, was stinkt.
Dank der Süddeutschen Zeitung wissen wir jetzt, dass Assange ein Anarchist ist. Er wirft aber keine Bomben, was ihn vom Terroristen unterscheidet. Während Terroristen den Mächtigen dienen, weil sie deretwegen die Freiheitsrechte einschränken können, rüttelt dieser Anarchist an den dunklen Grundfesten unserer Gesellschaften. Da ist es folgerichtig, dass Politik und Medien in ein Horn stoßen. Dieses einhellige Aufheulen zeigt, wie wichtig diese Enthüllungsplattform ist. Hier kann man keine Seiten von missliebigen Informationen säubern, wie das immer wieder bei den Artikeln von Wikipedia geschieht.
Die schändliche Kumpanei zwischen Medien und Mächtigen muss ein Ende haben, wenn die demokratischen Gesellschaften weiterhin als solche bestehen sollen. Das Verhalten unserer Medien zeigt, wie dringend notwendig die Enthüllungsplattform ist - im globalen Zirkus des schlechten Geschmacks.
Zum Zustand der Massenmedien:
Ein Detail für die Geschichtsbücher
Ohnmacht des Federkiels und Macht der Tasten
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Ich finde es schon bemerkenswert, für wie dumm die Redakteure die Leser halten.