Wikileaks ist zu heiß - Die Journaille badet lieber lau

zirkus schlechten GeschmacksSie habe noch eine letzte Frage, sagte die Mitarbeiterin der Aachener Nachrichten, Denise Petzold, nach meiner Lesung im Aachener Kerstenschen Pavillon: „Warum schreiben Sie?“

Die Frage hat mich ziemlich verblüfft. Warum schreibt der Mensch? Weil Schreiben eine Kulturtechnik ist? Weil es hilft, die Gedanken auszurichten? Weil es ein schöpferischer Akt ist? Weil es eine Form ist, sich mitzuteilen und eine Meinung zu äußern? Es gibt viele Gründe, warum jemand schreibt, und genauso gut hätte Denise Petzold mich fragen können, warum ich spreche.

Sie hat aber etwas anderes gemeint: Warum veröffentlichen Sie? Die junge Frau hat offenbar schon verinnerlicht, wie Redakteure und Journalisten denken, dass man nämlich das Publizieren ihnen überlassen und nicht durch kostenlose Angebote im Internet die Preise kaputtmachen soll. Überdies hat man in den Redaktionen noch immer nicht verkraftet, dass ihnen durch das Internet die Oberhoheit über die Informationsverbreitung und mithin über die Köpfe ihrer Leser abhanden gekommen ist.

Sie selbst fragen sich offenbar nicht, warum sie schreiben, es ist ihr gewählter Beruf, und es ist auch unerheblich, warum sie ihn gewählt haben, wenn sie ihre Arbeit gut machen. Warum jemand diese oder jene Berufung verspürt, ist grundsätzlich nicht von Interesse. Oder haben Sie schon mal Ihren Friseur gefragt, warum er ausgerechnet Haare schneiden und Köpfe waschen will? Er hätte doch auch Klempner werden können oder Versicherungsagent. Ein solches Gespräch empfiehlt sich nicht. Am Ende schmeißt der Mann seinen Bettel hin und lässt Sie mit shampoonierten Haaren sitzen.

Würden Journalisten
ihre Arbeit gut machen, hätten sie gewiss nicht soviel Konkurrenz im Internet. Offenbar haben sie sich zu lange in ihrer Schlüsselrolle gesonnt und einen Dünkel entwickelt, der sich schädlich auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkt. Diese Arroganz hat viele vergessen lassen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich mit den Mächtigen und Einflussreichen gemein zu machen. Aber es ist verführerisch, sich mit diesen Leuten zu arrangieren, sich sogar auf deren Seite zu schlagen und sich in der Nähe zu den Informationsanbietern aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu sonnen, um die eigene Eitelkeit zu befriedigen oder in der Hoffnung, man würde ihnen eine vertrauliche Information zustecken. Viele lassen sich auch korrumpieren durch die Journalistenrabatte, die ihnen von Unternehmen gewährt werden.

Würden Journalisten sich all diesen Verlockungen widersetzen, bräuchte man nicht zu fragen, warum sie dies oder das schreiben, doch weil die Presselandschaft erkennbar auf den Hund gekommen ist, muss man es inzwischen bei jedem Zeitungsartikel tun. Die Printmedien nehmen ihre Wächter- und Kontrollfunktion nicht mehr ausreichend wahr, sondern versorgen den Leser zunehmend mit Entertainment und Oberflächenschmiere. Was tatsächlich in unseren Gesellschaften passiert, welche Kräfte am Werk sind, das erfährt man aus den etablierten Massenmedien immer seltener. Natürlich ist investigativer Journalismus anstrengend, teuer, und man macht sich unbeliebt bei denen, deren Gaunereien man aufdeckt. Privatwirtschaftliche Zeitungsverlage müssen abwägen, ob sie investigativen Journalismus betreiben wollen. Deckt eine Redaktion Machenschaften auf wie etwa den CDU-Parteispendenskandal, nimmt sie dabei ein Kauf, dass die Mächtigen der Partei sie hinfort schneiden. Man gibt ihnen kein Interview mehr, lädt sie nicht mehr zu vertraulichen Gesprächen und lässt sich von ihnen nicht mehr auf Auslandsreisen begleiten. Zudem kann ein wirtschaftlicher Schaden entstehen, wenn etwa Unternehmen, die sich den entlarvten Personen verbunden fühlen, keine Anzeigen mehr in der Zeitung schalten. Ebenso heikel ist es, ein großes Unternehmen genau unter die Lupe zu nehmen, das bislang ein wichtiger Anzeigenkunde war.

Plötzlich sehen sich die etablierten Medien überholt durch die Enthüllungsplattform Wikileaks. Eigentlich müsste jede Redaktion jubeln, dass ihnen jetzt Material zur Verfügung steht, an das sie niemals herangekommen wären. Sektkorken müssten knallen und man müsste die besten Leute abstellen, dieses Material zu sichten. Stattdessen begnügt man sich mit dem Klatsch von Botschaftern, freut sich über Formulierungen wie „Teflon-Merkel“, denn Klatsch ist billig und verkauft sich besser als sorgfältig recherchierte Beiträge. Und folgerichtig beschäftigt man sich mit der Person des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Warum macht er das? Welche Ziele verfolgt er? Kaum ein Beitrag über Wikileaks, in dem nicht erwähnt wird, dass Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen polizeilich gesucht wird. Mit dieser Herabsetzung und Vorverurteilung lenkt man von den eigentlichen Skandalen ab, deren Dokumente in dem veröffentlichten Material zu finden sind. Die Konzentration auf die Person Assange zeigt einerseits die Eifersucht der Journaille, dass hier ein Mann investigative Arbeit tut und offenbar besser als sie, andererseits den Unwillen, sich mit dem Material eingehend zu beschäftigen und aufzudecken, was stinkt.

Dank der Süddeutschen Zeitung wissen wir jetzt, dass Assange ein Anarchist ist. Er wirft aber keine Bomben, was ihn vom Terroristen unterscheidet. Während Terroristen den Mächtigen dienen, weil sie deretwegen die Freiheitsrechte einschränken können, rüttelt dieser Anarchist an den dunklen Grundfesten unserer Gesellschaften. Da ist es folgerichtig, dass Politik und Medien in ein Horn stoßen. Dieses einhellige Aufheulen zeigt, wie wichtig diese Enthüllungsplattform ist. Hier kann man keine Seiten von missliebigen Informationen säubern, wie das immer wieder bei den Artikeln von Wikipedia geschieht.

Die schändliche Kumpanei zwischen Medien und Mächtigen muss ein Ende haben, wenn die demokratischen Gesellschaften weiterhin als solche bestehen sollen. Das Verhalten unserer Medien zeigt, wie dringend notwendig die Enthüllungsplattform ist - im globalen Zirkus des schlechten Geschmacks.

Zum Zustand der Massenmedien:
Ein Detail für die Geschichtsbücher
Ohnmacht des Federkiels und Macht der Tasten

Zum Thema Enthüllungen: Nie bist du ohne Nebendir

Teppichhaus Musiktipp
Mintzkov; Opening Fire
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Mimiotschka - 3. Dez, 20:30

Das hast du mal wieder wunderbar auf den Punkt gebracht. Man muss sich ja nur mal Frau Schröder-Köpf ansehen, von der BILD zur Kanzlergattin. Vorher war sie auf Demos in Wackersdorf und alleinerziehende Mutter. Und sowas wird auf Zeit-online dann als bewegte Frau verkauft.
Ich finde es schon bemerkenswert, für wie dumm die Redakteure die Leser halten.

Trithemius - 3. Dez, 21:00

Vielen Dank. Den verlinkten Beitrag habe ich mir nur kurz angesehen, denn die ZEIT macht mich gemütskrank. Kaum zu fassen, was mit dieser Zeitung geschehen ist. Aber ein Wunder ist es nicht, denn schließlich gehört das Jubelblatt inzwischen auch zum Bertelsmann-Konzern. Und da, in der Bertelsmannstiftung, hat man eine höchst eigennützige Vorstellung davon, wie unsere Gesellschaft aussehen soll.
Mimiotschka - 3. Dez, 21:06

Man mag über Herrn Zumwinkel denken wie man will, aber auch hier haben die Medien mitgespielt als er öffentlichkeitswirksam als Steuerhinterzieher verhaftet wurde. Man munkelt, er habe Liz Mohn gehörig auf die glattgeputzen Schuhspitzen getreten, als er sich für den Mindestlohn bei den Postzustellern ausgesprochen hat.
Trithemius - 3. Dez, 21:11

Gut, dass du mal an diese Posse erinnerst, bei der die Medien schon warteten, als die Staatsanwaltschaft anrückte. Es traf keinen Unschuldigen, aber von den anderen Schuldigen war nie in der Öffentlichkeit die Rede. Insofern könntest du Recht haben, was deine Vermutung betrifft. Der Mann wurde für etwas anderes abgestraft als für Steuerhinterziehung. Darum hat er mir gleich leid getan, und ich habe eine Wohlfahrtsmarke für ihn gemacht.
Mimiotschka - 3. Dez, 21:16

Dazu fällt mir die Einleitung im Buch Die verblödete Republik von Thomas Wieczorek ein. Er schreibt über ein Telefongespräch, in dem eine Volontärin gerne Herbert Wehner sprechen möchte. Auf die Aussage, dass er bei Franz Josef Strauß sei antwortete sie:"Okay, dann ruf ich später nochmal an." Das sagt eigentlich alles, oder?
Trithemius - 3. Dez, 21:20

War das eine Volontärin der ZEIT? Hehe.
Mimiotschka - 3. Dez, 21:21

Das stand leider nicht im Buch. Aber ich denke, dass das exemplarisch ist.
la-mamma - 3. Dez, 20:53

witzig, in den zeitungen, die ich lese (ok, die sind nicht boulevard-tauglich) hat der assange gar keine so schlechte presse. eher im gegenteil.
ansonsten - s. mimiotschka.

Trithemius - 3. Dez, 21:04

Die SZ gilt auch nicht als Boulevardzeitung. Mich befremdet, dass man mehr über Assange liest als über das Material bei Wikileaks. Aber vielleicht ist das in Österreich anders. Wäre zu hoffen.
nömix - 3. Dez, 20:58

D'accord. Ob man die Wikileaks-Praktik, alles in Bausch & Bogen ungefiltert publik zu machen, nun als Anarchismus titulieren mag oder sonstwie - ist doch unerheblich. Vom Gros der ehemaligen "Vierten Gewalt" ist ohnehin mittlerweile nimmer mehr zu erwarten als wohl­temperierter Opportunismus oder läppisches Gesülze, ob ein Kanzler die Haare färbt oder ein Verteidigungsminister eine fesche Frau hat oder sonstwelcher Schmarrn. Und jetzt gackern die über die Person des "Enthüllers" Assange drauflos. Wer gackert, soll selber erstmal ein Ei legen.

Trithemius - 3. Dez, 21:08

Wenn das einer beurteilen kann, dann Sie, Herr Kollege. Schließlich begeben Sie sich immer wieder in die Niederungen der Presse und zeigen deren Schwachsinn auf. Ich habe den Eindruck, dass die Boulevardisierung der "Vierten Gewalt" nach der Finanzkrise erst richtig Fahrt aufgenommen hat. Für einen Augenblick war große Empörung, aber dann ist man voll auf Regierungskurs umgeschwenkt.
Merzmensch - 3. Dez, 21:44

Tatsächlich gleicht unsere Printpresse einer Gerüchteküche. Man interessiert sich nicht mehr für die Subversivitäten aus dem Bereich des politischen, weil man entweder faul oder feige, oder gar beides ist. Stattdessen interessiert man sich, ob er's getan hat oder nicht.

Die Presse, die eigentlich freiheitlich-demokratisch sein sollte, wird zu einem Untertan - der Politik und/oder der Spiessbürgergesellschaft. Oder: Spassbürgergesellschaft...

Superfizialität dominiert immer mehr in unseren Medien... Und dann auch in unserem Alltag. Die Menscheit verblödet, und das liegt nicht an der Klimaerwärmung.

Trithemius - 3. Dez, 22:23

Deinem Fazit kann ich leider nicht widersprechen. Allenfalls möchte ich auf die vielen kritischen Kommentare hinweisen unter Online-Ausgaben der Zeitungen und Tagesschau.de sowie hier und in anderen Blogs. Es gibt also noch eine ansehnliche Minderheit, die sich der Verblödungsmaschinerie widersetzt.
steppenhund - 4. Dez, 08:03

Geil!

Geil wurde verwendet, damit Leser diesen Kommentar lesen:)
Den Aussagen ist nichts entgegen zu halten. Wikileaks weist nur nach, was man sich sowieso vorstellen muss, wenn man das politische Geschehen betrachtet. Man will es vielleicht nicht wahrhaben. Und die, über die veröffentlicht wird, schon gar nicht.
Was die vierte Macht angeht, habe ich mittlerweile eine neue Erkenntnis gewonnen: es ist vollkommen unwesentlich, was in Zeitungen geschrieben wird. (also zumindest für die große Leserschaft.) Die wollen nicht informiert werden, sondern sie wollen das Gefühl bekommen, dass sie informiert werden. Es ist wie beim Lotto-Spielen. Ein Gewinn ist ziemlich unwahrscheinlich, aber für den Preis des Loses erkauft man sich eine Zeitlang träumen zu dürfen.
Insofern sind auch nömix' Sammlungen nur ein Beweis, dass die Befriedigung nicht aus dem informativen Gehalt herrührt sondern aus einer Formulierung, die einfach Gefühle anregen muss.
Trithemius schreibt klug, regt nichts an. Trithemius unterstützt Wikileaks, das ist aufwühlend. "Was, der auch? Der Hund, wartet nur, den fangen die gleich zusammen mit Assange ein." Der zweite Text findet mehr Käufer, möchte ich wetten.
Gleichzeitig hoffe ich aber, dass es genau für die Leser hier nicht gilt.

Trithemius - 4. Dez, 10:44

Da bin ich gespannt, ob es wirkt ;) Ihre Erkenntnis trifft vermutlich auf viele Leute zu. Ich kann es sogar nachvollziehen, denn es befällt einen das Gefühl der Ohnmacht, wenn man etwa erkennt, wie in der Politik gelogen und betrogen wird. Man möchte es gar nicht wahrhaben und ist geneigt, solche Informationen zu verdrängen. Schließlich hat man genug eigene Sorgen.

Man kann also die Zeitungsleser nicht freisprechen.

Ich weiß jetzt nicht genau, welchen zweiten Text Sie meinen, die launige Satire? Jedenfalls habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Kunden des Teppichhauses sich nicht nur unterhalten lassen wollen. Davon künden die vielen Kommentare unter gesellschaftskritischen Texten.
webgeselle - 4. Dez, 13:12

Das is' mal wieder 'n Hammer-Beitrag...

 
... und zwar im mehrfachem Sinne, und das war jetzt (kommt das rüber - ich kann mich nicht so ausdrücken?) ausdrücklich als konstruktiv-positive Rückmeldung gemeint...

(... im Folgenden assoziiert das Fossil frei und bei absentierter Anna Lyse sowie Couch...)

... meine erster Gedanke bei der ersten Lektüre einer Meldung über WikiDings: so sieht also Glasnost "auf westlich" aus...

... und wieder die Sehnsucht, zu der Gruppe gehören zu wollen, die als Ton angebend im eigenem Soziotop empfunden wird... - Journalisten als "Mitspieler", nicht als (möglichst kritisch distanzierte) Beobachter usw....

(... das mit den "shampoonierten Haaren" kann mir nicht passieren, denn ich schlage selbst Schaum... konnte trotzdem ein kurzes kraftvolles Kichern verzeichnen, Dunnerlüttchen...)

Bla.

Das Fossil

PPS: Da ich inzwischen glaube, begriffen zu haben, dass auch Profis immer einmal wieder gern gelobt werden (wollen), erlaube ich mir die rückmeldende Anmerkung, dass dieser Beitr... dieses Posting auch überhaupt ganz vorzüglich geschrieben ist...
PPS: "Es gibt viele Gründe, warum jemand schreibt, und genauso gut hätte Denise Petzold mich fragen können, warum ich spreche" - ? Wohl dem, der das von sich sagen kann!
 

Trithemius - 4. Dez, 21:24

Vielen Dank, Sir!

Freut mich, dass der Beitrag dir gefällt. Ich ging da schon einige Tage mit schwanger, und da mir das Schreiben derzeit nicht leicht von der Hand geht, war's wie das Pflügen eines steinigen Ackers. Liegt aber auch am Thema. Das ist einfach unerquicklich. Es ist dann immer gut, ein Lob zu hören.

Dass dir Wikileaks wie "Glasnost auf westlich" erscheint, finde ich erheiternd. Wieso sehen das die Schmocks in Presse und TV bloß nicht so?

Zu deinem PPS: Diese Gründe kann jeder anführen, der sich hinsetzt und seine Gedanken in Zeilen fasst.

Freundliche Grüße
Dein Trittenheim
Videbitis (Gast) - 6. Dez, 20:19

Die Medienwirklichkeit ist eine "zweite Wirklichkeit" - habe ich gerade in einem lesenswerten Text von Nicolas Born gelesen, der Dich auch interessieren könnte, gepostet von Ludi/Poe:

http://poebilmus.blog.de/2010/12/06/welt-maschine-3-zweite-wirklichkeit-born-10123254/comment_ID/14618171/comment_level/1/#c14618171

Trithemius - 6. Dez, 22:20

Dankeschön für den Link und die Verlinkung dort. Die Ausführungen von Born gehen ja, wie es scheint, noch einen Schritt weiter und berühren die Schwierigkeiten, wenn das Weltbild des Menschen nicht aus der unmittelbaren Erfahrung, sondern aus zweiter Hand stammt.
Videbitis (Gast) - 7. Dez, 12:28

... was ja die Regel ist. Für viele ist das richtig und wahr, was ihnen medial vermittelt wird, oder? Wirtschaftliche Überlegungen geben den Takt vor, und wenn man sich dann noch entscheiden darf, ob man den Kaffee mit oder ohne Zucker trinken will, oder ob Westerwelle doof ist oder nur irgendwie unsympathisch, fühlt man sich frei. "Du darfst!" ... entscheiden, ob du die fettige oder fettarme Leberwurst verstreichst.
Den Begriff "Megamaschine" finde ich gar nicht schlecht.
Rolf Wenkel (Gast) - 6. Dez, 20:33

Gegenrede

Oh weh, ich bin Journalist ein einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (aber ich habe Heimschlafrecht, und behütet sind wir auch nicht!) und muss so viel Schelte über mich und meine Spezies ergehen lassen, dass ich mich fast gar nicht traue, eine Gegenrede zu halten. Aber bestimmte Sachen stören mich doch etwas. Da ist zuerst die Vorstellung, alle Journalisten arbeiteten investigativ und seien nur an der Wahrheit und nichts als an der Wahrheit interessiert. Wie naiv kann jemand sein, der diesen Schmarrn glaubt, wenn er die Bunte, die Neue Revue, die Super Illu oder die Bildzeitung aufblättert oder Kommerzradios hört? (Für letztere hat sich eine kleine Schar von Dienstleistungs-Agenturen entwickelt, die fertige Hörfunk-Beiträge inklusive Anmoderation wahlweise in 1'30, 2'00 oder 2'30 anbietet, die von den Kommerz-Sendern gerne genommen werden, und deren CD's bei uns sofort in den Papierkorb wandern.)

Als Hörfunk-Redakteur sitze ich in der Mitte einer Kette. Wir haben wie überall zu wenig Personal, um selbst rauszufahren und Reportagen vor Ort zu machen, wir ernähren uns von Agenturen, um wenigstens die Grundversorgung an Informationen zu sichern. Früher galt bei uns der Grundsatz: Wenn nicht mindestens drei Agenturen über ein Ereignis berichten, dann ist es kein Ereignis. Wenn also Agence France Presse melden würde: "Papst beim onanieren vom Baum gefallen", wäre das bei uns keinen Nachricht, es sei denn, Reuters würde ergänzend melden, dass er sich dabei einen Arm gebrochen habe, und dpa ergänzend melden würde, der deutsche Botschafter beim Vatikan sei ständig in Verbindung mit dem ad hoc in Berlin gebildeten Krisenstab Papa accidentum.

Ich habe Trithemius Beitrag nur einmal gelesen und will ihr auch kein zweites mal lesen. Er scheint mir nur öffentlich-rechtliche Betroffenheitsgesichter im Heute-Journal oder in den Tagesthemen mit dem journalistischen Alltag zu velwechsern. Werch ein Illtum! (Jandl). Es mag ja sein, dass diese Moderatoren (und mehr als das sind es ja auch nicht!) für viele deutsche TV-Konsumenten die Deutungshoheit haben - aber auch für viele andere eben auch nicht.

P.S.: Trithemius schreibt: "Würden Journalisten ihre Arbeit gut machen, hätten sie gewiss nicht soviel Konkurrenz im Internet. Offenbar haben sie sich zu lange in ihrer Schlüsselrolle gesonnt und einen Dünkel entwickelt, der sich schädlich auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkt. Diese Arroganz hat viele vergessen lassen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich mit den Mächtigen und Einflussreichen gemein zu machen."

Sorry, aber längst nicht jeder Journalist hat einen Dünkel entwickelt, nicht jeder Journalist ist nur deshalb arrogant, weil er in Berlin näher an den Mächtigen und Einflussreichen ist als die anderen Journaliasten in der Republik. Die meisten Jornalisten versuchen, ihre Arbeit gut zu machen. Die Konkurrenz im Internet ist in der Regel nichts anderes als die angestammte Konkurrenz der Verlage, die es ohnehin schon gegeben hat. Blogs wie meinen mmmblog.de/wp oder Teppichhaus Trithemius - wovon leben wir denn?

Trithemius - 6. Dez, 21:29

Lieber Rolf,

in meinem Beitrag habe ich mich ausdrücklich auf die Printmedien bezogen. Und natürlich weiß ich und sage auch immer wieder, dass viele Journalisten ihre Arbeit gut machen oder besser machen würden, wenn sie nur dürften. Trotzdem ist Ihre Gegenrede berechtigt, wenn mein Text zu pauschal wirkt.
Es ist immer schwierig, so ein komplexes Thema griffig im Blog zu behandeln, weshalb ich auch auf zwei weitere Beiträge verlinkt habe, in denen ich ausführlicher begründe, was hier wie Behauptungen daherkommt. Lassen Sie mich nur auf zwei Punkte eingehen:

Sie sagen: "Die Konkurrenz im Internet ist in der Regel nichts anderes als die angestammte Konkurrenz der Verlage, die es ohnehin schon gegeben hat." Die Konkurrenz der Verlage ist ja leider inzwischen die Konkurrenz der Großverlage. Nehmen Sie nur die Beispiele aus Ihrer Region: Die ehemals unabhängige Kölnische Rundschau erscheint nun im selben Verlag wie der Kölner Stadtanzeiger, DuMont. Im DuMont-Verlag erscheinen auch die zusammengeschrumpfte Frankfurter Rundschau, die Berliner Zeitung, die Hamburger Morgenpost, die Mitteldeutsche Zeitung, um nur die großen zu nennen. Die Aachener Nachrichten haben ihre Unabhängigkeit gänzlich verloren und teilen sich sogar den Chefredakteur mit der Aachener Zeitung unter dem Dach des Aachener Zeitungsverlags. Der wiederum gehört zum größten Teil der Rheinischen Post. Indem diese Zeitungen ihre Unabhängigkeit verloren haben, konkurrieren sie auch kaum noch, allenfalls im Lokalteil. Mit Meinungsvielfalt hat das nur noch wenig zu tun, weil das von den Allierten verordnete System zerschlagen ist, dass in jeder Stadt oder Region je eine konservative und eine linksliberale Zeitung erschein sollte. Da können auch gutwillige Redakteure nichts machen, allenfalls ein Blog betreiben und dort sagen, was ihnen im Redaktionsalltag verwehrt ist.
Der zweite Punkt ist die von mir angeführte Praxis der Presserabatte, mit denen die Unternehmen Journalisten günstig zu stimmen versuchen. Schauen Sie sich nur einmal an, wer die anbietet.
https://www.dpv.org/mitgliedschaft/pressekonditionen.html?kategorie=264
Kürzlich las ich in einer Umfrage, dass über 70 Prozent der Journalisten nach eigenen Angaben solche Rabatte anfragen. Wo bleibt da die journalistische Unabhängigkeit, wenn jemand über ein Unternehmen schreibt, von dem er Vergünstigungen angenommen hat?

Was Sie über den Umgang mit den Angeboten von PR-Agenturen in Ihrer Redaktion sagen, klingt wirklich beruhigend. Aber täglich geraten solche vorgefertigten Beiträge in die Medien, ohne dass der Konsument ahnt, wer sie aus welchen Gründen verfasst hat.

Und schauen sie sich die Verhältnisse im öffentlich/rechtliche Rundfunk an, wo die Parteien schachern, wer welchen Posten bekommt, um ihren Einfluss zu sichern. Da wird der Ex-Pressesprecher von Bundeskanzlerin Merkel Intendant des BR, und ein Heutejournal-Moderator wird Regierungssprecher. Diese Kumpanei habe ich allerdings auch gemeint.

Dankeschön für den Einblick in Ihren Redaktionsalltag. Ich fürchte, Sie haben sich da einen Schuh angezogen, der gar nicht für Sie gedacht war. Seien Sie mir also nicht bös, Sie waren nicht gemeint und auch die vielen Ihrer verantwortungsbewussten Kollegen nicht, die gewiss besonders im öffentlich-rechtlichen Radio zu finden sind.

EDIT: 7.12.2010
Im Beitrag kritisiere ich, wie Journalisten das Thema Wikileaks behandeln. Dabei habe ich den Rundfunkjournalismus ausgespart. Aber die Kritik gilt hier auch, wenn man sich Beiträge aus Tagesschau und Tagesthemen anschaut, den beispielsweise:
http://www.tagesschau.de/ausland/assange126.html
Zum Glück sind die meisten Kommentatoren, die sich zum Text äußern, klüger als der Journalist, der das verbrochen hat. Falls Georg Schwartes dümmliche Argumentation aber nicht auf seinen Geisteszustand zurückgeht, dann fragt man sich doch, warum sagt er diesen Quatsch? Wem dient der Mann? Ein Beispiel aus Schwartes Text: "Gesucht wird dieser Nachrichtenfreibeuter wegen mutmaßlicher Vergewaltigung. Und die wird nicht dadurch besser, dass er ansonsten von Berufswegen als Gutmensch im Kampf gegen das Böse im Internet unterwegs ist."

"Mutmaßliche Vergewaltigung" ist weder gut noch schlecht, kann also auch nicht "besser" werden, weil sie eben mutmaßlich, unbewiesen ist. Nennen Sie, lieber Rolf, solch einen Satz sauberen Journalismus?
Heinrich (Gast) - 7. Dez, 15:22

Schönes Beispiel

für den journalistischen Ehrenkodex. http://bit.ly/gnvyBY
So'n Pech, wenn die Ereignisse gar nicht stattfinden, über die man recherchiert und berichtet.
Rolf Wenkel (Gast) - 7. Dez, 19:21

Uff,

also erstmal bin ich froh, dass ich mir diesen Schuh nicht anziehen soll/muss. Zudem denke ich, dass die Unterscheidung zwischen Print- und anderen Medienjournalisten ziemlich unerheblich ist. Alle sollten eine saubere Arbeit abliefern, wenn sie sich schon Journalist nennen (eine im übrigen völlig ungeschützte Berufsbezeichnung). Selbst dem Schwachsinnskommentar von Herrn Schwarte kan man noch etwas abgewinnen, wenn man seine Zeilen zitiert: "Die Welt ist nämlich nicht schwarz oder weiß. Nicht gut oder böse. Die Welt ist meistens etwas komplizierter." Das gilt auch für Journalisten. Es gibt kein Schwarzweiß, es gibt nicht nur gute und verdorbene Journalisten, die sich mit der Macht arrangieren. Es gibt eine Menge Mittelmaß dazwischen.

Was das Postengeschiebe in öffentlich-rechtlichen Sendern angeht - dem kann ich auch nur mit Staunen und stummer Verzweiflung zusehen. Ich könnte sogar noch einige Anekdoten beisteuern, doch das Teppichhaus Trithemius ist ein öffentlicher Raum, und mein Arbeitsvertrag verbietet mir, Interna aus meinem Sender auszupaudern.

Mit dem Konkurrenzkampf im Internet meinte ich etwas anderes. Wir beobachten in den USA ein massenhaftes Zeitungssterben, weil sich immer mehr Konsumenten über das Internet informieren. Und weil alles Gute oder Schlechte aus den USA mit einiger Zeitverzögerung unweigerlich auch bei uns landet, wollen die Verleger natürlich vorbauen. Dank ihrer massiven Lobbyarbeit haben sie die Ministerpräsidenten der Länder dazu gebracht, das Landesrundfunkgesetz zu ändern. Seitdem ist es ARD-Anstalten nicht mehr erlaubt, im Internet Nachrichtenportale zu unterhalten. Sie dürfen nur noch programmbegleitende Informationen ins Netz stellen, und alle Inhalte müssen nach sieben Tagen gelöscht sein. Zwar schreibt noch kein Verleger in Internet schwarze Zahlen (vielleicht mit Ausnahme von Spiegel Online), aber wenigstens hat man sich die lästige öffentlich-rechtliche Konkurrenz vom Hals geschafft.

Hierin liegt m. E. die Chance von guten Blogs. Auch sie haben in der Regel nicht die Mittel, um exklusive Geschichten zu recherchieren, aber sie können das Geschehen aufmerksam verfolgen und klug kommentieren. Und da ist das Teppichhaus Trithemius eine gute Adresse.
Trithemius - 8. Dez, 09:54

Angesichts der Vorgänge um Wikileaks und besonders der Reaktionen in den USA fühle ich mich in eine finstere Dystopie versetzt. Ja, es gibt nicht Schwarz und Weiß, nur Gut oder nur Böse, aber die Umdeutung von Böse in Gut, wie sie auch von deutschen Medien nachgebetet wird, das erinnert deutlich an Orwells Neusprech.

Ich habe damals bedauert, als den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die Nachrichtenportale untersagt wurden, aber jetzt, wo die Tagesthemen so verkommen sind und immer wieder die übelste Polemik verbreiten und eine Sorte Verlautbarungsjournalismus pflegen, der wirklich beunruhigend ist, bedauere ich es nicht mehr. Das Postengeschiebe hat wohl dazu geführt, dass in den zentralen Bereichen die jeweils herrschende Partei die Linie bestimmt. Mir tun alle Journalisten leid, die das auch so sehen und gute Miene zum bösen Spiel machen müssen.

Aber als ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender auf Betreiben von Roland Koch entlassen wurde, da hättet ihr eigentlich streiken müssen.

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